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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies
Autoren: Petra Durst-Benning
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sie, während sie gleichzeitig zu Richard auf die Bank rutschte. Sie gab ihm verstohlen nur einen Kuß, denn Liebesbekundungen in Anwesenheit ihres Vaters waren Richard unangenehm.
    Â»Hier bin ich schon!« hörte man im nächsten Moment. »Da ist ja mein kleiner Engel …« Bevor Wanda etwas sagen konnte, langte Eva nach dem Säugling und legte ihn sich über die Schulter. »Jetzt gibt es erst einmal warme Milch, und dann fährt deine Tante Eva mit dir nach Steinach!« Und mürrisch fuhr sie an Wanda gerichtet fort: »Spät seid ihr gekommen! So spät! Das Kind ist sicher schon halb verhungert!«»
    Die Sache mit der Geburtsurkunde war schwieriger, als ich gedacht habe«, sagte Wanda. Im stillen legte sie sich schon zurecht, mit welch dramatischen Worten sie die Geschehnisse auf dem Amt wiedergeben wollte, doch niemand fragte nach. Die Männer steckten die Köpfe über den Papieren zusammen und nahmen ihre Unterhaltung wieder auf.
    Wanda runzelte die Stirn. Interessierte es denn niemanden, was ihr widerfahren war?
    Â»Du willst heute noch nach Steinach?« sagte sie schließlich zu Eva. »Das Kind ist bestimmt müde, vielleicht wäre es besser, Sylvie bekäme ein wenig Ruhe und –«
    Â»Papperlapapp!« fuhr Eva dazwischen. »Frische Luft hat noch keinem Kind geschadet. Außerdem habe ich mit meinen Schwestern ausgemacht, daß ich mir ihre alten Kindersachen anschaue – bestimmt ist für unser Goldstück noch etwas Brauchbares dabei!« Mit verklärtem Gesicht schaute sie Sylvie an.
    Â»Aber ich –« Ich will nicht, daß Sylvie alte, kratzige Sachen, in denen womöglich schon die Motten hausen, trägt, wollte Wanda sagen. Lieber kaufe ich ihr neue, hübsche Kleidchen! Doch sie hielt wohlweislich den Mund.
    Â»Wenn du Hunger hast, es sind noch gekochte Kartoffeln übrig und Quark!« rief Eva. Im nächsten Moment war sie samt Säugling und Nuckelflasche verschwunden.
    Richard schaute von den Papieren auf.
    Â»Was ist denn in die gefahren? Ist das tatsächlich noch die alte Kratzbürste von früher?«
    Â»Richard«, sagte Thomas Heimer tadelnd, allerdings ohne Nachdruck in der Stimme.
    Wanda lächelte. Entspannt lehnte sie sich für einen Moment zurück und schloß die Augen.
    Nicht nur die Heimersche Küche war verändert, auchEva, die Lebensgefährtin ihres Großvaters, war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihre einstmals ständig verbiesterte Miene war nun die meiste Zeit über entspannt, fast fröhlich. Als junge Frau hatte sie sich ein Kind gewünscht, doch diesen Traum hatte sie zusammen mit vielen anderen begraben müssen. Daß das Schicksal ihr doch noch einen Säugling ins Haus gebracht hatte – auch wenn es nicht ihr eigener war –, bedeutete Eva viel.
    Wanda war manches an der Art, wie die ältere Frau mit Sylvie umging, suspekt. War es wirklich gut, ein Kind so eng in ein Tuch zu binden, daß es sich kaum noch bewegen konnte? Und wäre es nicht besser gewesen, zum Waschen das Wasser anzuwärmen? Aber da Wanda es nicht besser wußte, schwieg sie meistens. Außerdem bedeutete Evas Hilfe, daß sie sich hin und wieder für einige Zeit zurücklehnen konnte. So wie jetzt …
    Â»Sie soll sich bloß nicht zu sehr an Sylvie gewöhnen«, knurrte Richard. »Sonst ist nach unserer Hochzeit, wenn das Haus wieder still ist, das Geheule groß.«
    Wanda schreckte auf. Da sie jedoch nur mit halbem Ohr dem Tischgespräch gefolgt war, blieb sie eine Erwiderung schuldig.
    Â»Nun ja, Wanda wird uns hoffentlich oft besuchen kommen, nicht wahr? Eure Hütte ist schließlich nur ein paar Häuser von uns entfernt.«
    Wanda nickte zögernd, während sie gegen das ungute Gefühl ankämpfte, das sich urplötzlich in ihrer Bauchgegend breitmachte. Natürlich sehnte sie den Tag herbei, an dem sie und Richard sich das Jawort geben würden. Tag und Nacht mit dem geliebten Mann zusammenzusein, keine heimlich ausgetauschten Zärtlichkeiten mehr, sondern innige Zweisamkeit – es fehlte ihr die Phantasie, sich dieses Glück vorstellen zu können.
    Gleichzeitig machte ihr der Gedanke, für einen eigenen Haushalt verantwortlich zu sein, angst. Was, wenn sie als Hausfrau völlig ungeeignet war? Falls sie überhaupt über hausfrauliche Tugenden verfügte, so waren ihr diese Talente zumindest
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