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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies
Autoren: Petra Durst-Benning
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Trübsalblasen.« Er blinzelte sie aufmunternd an. »Dann hast du deine eigene kleine Familie, hast ein Zuhause zu versorgen und Sylvie. Und was diesen Franco angeht … Mach dir keine Sorgen. Niemand und nichts wird uns Sylvie je wegnehmen, das verspreche ich dir!«
    Gedankenverloren kaute Wanda auf ihrem Daumennagel herum. Richards Worte, so wohlmeinend sie waren,schafften es nicht, ihre Trauer zu lindern. Sie weckten auch keine Zuversicht, ganz im Gegenteil, sie machten ihr fast ein bisschen angst.
    Â»Und was ist, wenn ich das alles gar nicht schaffe?«
    Â»Was gibt es da nicht zu schaffen? Meine Hütte ist klein, die ist also gut sauberzuhalten. Und was das Essen angeht, bin ich nicht anspruchsvoll. Herrje«, er lachte auf, »ich bin ja schon froh, wenn ich überhaupt etwas Warmes auf den Teller bekomme! Außerdem hast du ja sonst nichts zu tun. Wie du siehst, kommen dein Vater und Michel gut allein zurecht. Und mir brauchst du, was das Geschäft angeht, auch nicht zu helfen. Der Besuch der Kunstmesse in Venedig hat Gotthilf Täuber und mir interessante Verbindungen beschert, da werden sicherlich einige gute Aufträge folgen. Solange ich in Ruhe arbeiten kann und nicht ständig gestört werde, läuft alles bestens. Du kannst dich also voll und ganz Sylvie und deinen hausfraulichen Tätigkeiten widmen. Und wer weiß? Vielleicht bekommt die Kleine bald ein Geschwisterchen …«
    Wanda nickte beklommen. So, wie Richard die Dinge darlegte, hörte sich wirklich alles einfach an, aber … Etwas störte sie an seinen Ausführungen, kratzte, wie ein Splitter, der versehentlich in die Haut getrieben wurde. Sie hätte nicht sagen können, was es war. Vielleicht, wenn sie nicht so müde wäre …
    Â»Sag mal, an welchem Tag genau kommt deine Mutter an?« fragte Richard nach einer Minute des Schweigens – doch Wanda war eingeschlafen.

4. K APITEL
    Auch in den kommenden Nächten wachte Sylvie mehrmals auf und schrie wie am Spieß, bis Wanda sie fütterte, wickelte oder einfach ein wenig mit ihr redete. So urplötzlich, wie die Kleine aufwachte, schlief sie nach einiger Zeit auch wieder ein, während Wanda stundenlang wachlag, den Kopf voller Gedanken an Genua und Marie, an den Besuch ihrer Mutter und an die Hochzeitsvorbereitungen. Nach solchen Nächten war sie tagsüber wie gerädert und froh, wenn Eva ihr das Kind für ein paar Stunden abnahm. Ein Geschwisterchen für Sylvie? Darüber würde sie mit Richard noch einmal reden müssen.
    Die Tage waren mittlerweile lang und hell. Die Sonne stand hoch über den steilen Berghängen und schickte ihre Strahlen auch in die hintersten Ecken von Lauscha. Dank des regenreichen Frühjahrs und des warmen Wetters in den letzten Wochen waren die Wipfel der Nadelbäume um ein gutes Stück gewachsen. Ihre hellgrünen Hauben verliehen den Wäldern ein fröhlich geschecktes Aussehen. Fenster standen sperrangelweit offen, Wäsche wurde auf kreuz und quer gespannten Leinen draußen getrocknet, Möbel zum Lüften vors Haus geschleppt.
    Thomas Heimer und Michel hatten eine hölzerne Sitzbank nach draußen gestellt, so daß Wanda – den Kinderwagen neben sich – das schöne Wetter genießen konnte. Zusammen mit ihrem Großvater saß sie oft stundenlang auf der Bank, während er ihr erklärte, welcher Vogel gerade sang, zu welchen Büschen und Blumen sich die Bienen auf ihrer Nektarsuche aufmachten und daß es Marder waren, die frühmorgens im Gebüsch hinterm Haus so keifend schrieen. Wanda atmete den leicht bitteren Duft derHolunderblüten ein, bewunderte Wilhelm Heimers Wissen und die Nähe, die der alte Mann zur Natur empfand. Diese Naturverbundenheit hätten alle Waldbewohner inne, erklärte er ihr, das sei nichts Besonderes. Wer so viele Stunden an der Glasbläserflamme verbringen müsste, den dränge es in der wenigen freien Zeit nach draußen, der wolle eins werden mit Gottes Schöpfung. Viele Lauschaer bezeichneten den Wald sogar als »Doktor Wald«, was damit zusammenhing, daß viele Kräuter zu hilfreichen Heilsalben und Tinkturen verarbeitet wurden. Aber genauso heilsam sei auch ein Spaziergang im Wald, weil der Mensch dabei wieder zu sich selbst finde, behauptete der Großvater. Aus diesem Grund sei schon ein gutes Vierteljahrhundert zuvor der »Thüringer Waldverein«
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