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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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Rosemann, und ihn als jungen Violinstudenten, noch mit ganz dunklem Haar, in der Hand die Geige.
    »Wolfgang ist Abonnent der Konzerte des Beethovenorchesters. Dort sind Sie doch auch regelmäßig. Ich dachte, Sie kennen ihn vielleicht. Er ist Arzt im Ruhestand …« Zimmermann verstummte.
    »Es tut mir leid, aber ich kenne keinen Wolfgang Joch. Und Sie haben es ja mitbekommen: Ich habe zu tun. Das muss ein Missverständnis sein.«
    Der junge Mann senkte den Blick. »Wolfgang ist mein Freund. Und er ist verschwunden.« Er räusperte sich. »Es kommt Ihnen vielleicht eigenartig vor, dass ich gerade Sie damit belästige. Aber ich war einmal mit Wolfgang im Konzert, und da sind wir Ihnen begegnet. Er hat Sie im Vorbeigehen gegrüßt. Später haben wir Sie dann von oben im Zuschauerraum auf dem Rang gesehen, und ich habe bemerkt, wie Sie sich Notizen machten. Wolfgang hat mir gesagt, dass Sie Musikkritiker sind. Und wie Sie heißen.«
    »Und Sie dachten, ausgerechnet ich wüsste, wo Ihr Freund ist? Wie kommen Sie darauf?«
    »Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll. Ich kenne sonst niemanden aus Wolfgangs Bekanntenkreis. Aber ich habe mich wohl geirrt.«
    Plötzlich erinnerte sich Alban vage. Er war Joch einmal vorgestellt worden. Es musste bei der Abschiedsvorstellung des damaligen Bonner Generalmusikdirektors Marc Soustrot gewesen sein. Auf dem Empfang nach dem Konzert.
    »Doktor Wolfgang Joch«, sagte Alban. »Er kennt sich mit Sängern aus. Das ist er, oder?« Er nahm nachdenklich den Bleistift und setzte die Spitze auf das Notizpapier. »Ja, ich habe Herrn Dr. Joch kennengelernt. Es ist schon eine Weile her … Was meinten Sie denn damit, er sei verschwunden?«
    »Er hat sich seit Tagen nicht mehr bei mir gemeldet. Ich mache mir Sorgen.«
    »Sollte man nicht die Polizei informieren? Entschuldigen Sie, ich möchte die Sache nicht dramatisieren, aber …«
    Alban wurde bewusst, dass seine Höflichkeit langsam, aber sicher über Gebühr strapaziert wurde. Was ging ihn die ganze Sache an? Er musste zusehen, dass er den jungen Mann schnellstens loswurde.
    »Ich kann nichts für Sie tun. Das müssen Sie verstehen.«
    Zimmermann nickte nachdenklich und stand auf. Er wollte Alban die Hand geben, hielt dann jedoch in der Bewegung inne.
    »Ach, das hätte ich beinahe vergessen.« Er öffnete die Mappe, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, und holte einen braunen Umschlag hervor. »Da Sie ja Musikexperte sind, können Sie damit vielleicht etwas anfangen.«
    Zimmermann brachte ein Heft zum Vorschein. Alban erkannte sofort die Notenlinien.
    »Vor ein paar Monaten gab mir Wolfgang diesen Umschlag und bat mich, ihn aufzubewahren. Als er nun verschwand, dachte ich, ich könnte darin einen Hinweis finden. Aber es war nur das hier drin.«
    Zimmermann trat vor und legte die Noten in den warmen Lichtkegel der Schreibtischlampe. »Wir leben nicht zusammen, wissen Sie. Ich habe von seiner Wohnung am Poppelsdorfer Schloss noch nicht mal einen Schlüssel.«
    Alban betrachtete die Titelseite und blätterte um. »Handgeschrieben«, stellte er fest. »Eine Arie. Offenbar für Sopran.«
    Das Manuskript bestand aus mehreren Seiten. Die Handschrift war sauber und schön. Alban liebte die ästhetische Ausstrahlung von Partituren fast genauso sehr wie die klingende Musik selbst. Und was er hier vor sich hatte, war eine wahre Augenweide. Wer immer das geschrieben hatte, war sehr sorgfältig ans Werk gegangen. Das Schriftbild – die akkuraten Notenköpfe, Hälse und Fähnchen, die saubere Niederschrift des Gesangstextes, die fein geschwungenen Schlüssel – zog Alban sofort in seinen Bann.
    Er wischte ein paarmal über die Blätter. Die Noten hatten zuerst den Eindruck erweckt, von einem Grafiker mit Tinte oder Tusche gezeichnet worden zu sein. Doch es war profaner Filzstift, den der Schreiber verwendet hatte. Das Papier war brandneu – übliches Material, das man in jedem Musikaliengeschäft bekam.
    Alban suchte einen Komponistennamen und blätterte zur Titelseite zurück. Doch da stand nur ein einziges Wort in riesigen, etwas geschnörkelten Großbuchstaben: »Aria«. Darunter hatte der unbekannte Autor einen einzelnen Buchstaben gesetzt; dahinter einen Punkt. Der Buchstabe war kaum zu entziffern. Es konnte ein »D«, aber auch ein »O« sein.
    »Sagt Ihnen das was?«, fragte Zimmermann.
    Alban konzentrierte sich auf die Musik, die hinter den Zeichen verborgen war. Sie begann in seinem Kopf Gestalt anzunehmen, nach und
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