Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
das der Tod? Steht er ihm bevor?
    Es ist besser, völlig mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Sich unsichtbar zu machen. Die Dunkelheit in seiner Seele muss mit der Dunkelheit da draußen eins werden. Dann wird der Schmerz nachlassen. Vielleicht.
    Sein Blick fällt auf das grau schimmernde Fenster. Früher hat etwas Aufregendes in dieser Dunkelheit gewartet, hat ihn gelockt und hat ihn herausgeholt. Es ist etwas gewesen, das er nie gekannt hat, und ihm ist versprochen worden, dass er es nun sein Leben lang genießen darf.
    Auf der Tischplatte liegt ein Blatt Papier, handbeschrieben. Runde, blaue Buchstaben. Die letzte Botschaft.
    Er kennt den Text auswendig, schon lange.
    Und er hat noch genau den Klang der Stimme im Ohr, die ihm diese drei Worte immer wieder eingeflüstert hat.
    Dort draußen war es gewesen, in weichen, warmen, duftenden Nächten. Er hat nicht die Spur von Falschheit in der Stimme erkannt. Er besitzt dafür ein Gespür. Er spürt die Lüge am Klang. Wie eine Dissonanz in einem Akkord.
    Alles wird gut!
    Diese drei Worte, gesprochen von der schmeichelnden Stimme, die aus dem Wald gekommen ist. Die ehrlichsten Wörter, die er je gehört hat. Der reinste Wohlklang, nur mit einem perfekt gestimmten Dreiklang zu vergleichen.
    Drei Worte – so schön wie eine Sommernacht.
    So schön …
    Und trotzdem haben sie ihn getötet.

2
    Lea war eine haarlose Puppe. Milchig glänzend, wie Marmor, verschmolz ihre bewegungslos daliegende Gestalt mit dem dünnen Laken, das ihren Körper bedeckte. Die Arme, aus denen transparente Plastikschläuche wie die Fäden einer leblos daliegenden Marionette heraustraten, ruhten unbeweglich an ihrer Seite. Nur ihr Kopf, eine kahle, helle Kugel, wandte sich Alban zu, der mit sich kämpfen musste, um seinen Schmerz nicht hinauszuschreien.
    Wir haben ihr verschwiegen, dass es zu Ende geht, dachte er, während er sich zwang, die Augen nicht abzuwenden. Wir haben es ihr verschwiegen. Aber sie weiß es!
    Tränen verschleierten den Blick auf Lea, auf ihren Kopf, der früher einmal von vollem Haar bedeckt gewesen war. Alban wischte sich über das Gesicht, und da bemerkte er, dass sie die faltigen, grauen Lippen bewegte. Sie flüsterte etwas, und obwohl er keinen Millimeter näher an sie herangerückt war, verstand er jedes Wort, als läge Lea nicht vor ihm auf dem Krankenbett, sondern befinde sich irgendwo in seinem Inneren.
    »Es ist wie Musik«, hauchte sie, »wie eine Melodie, die mich hinüberlockt. Ich höre sie … schon seit Tagen. Sei nicht traurig. Ich weiß alles. Die Musik sagt es mir. Und die Musik ist schön … Sie kommt immer näher.«
    Sie schwieg, ermattet von der Anstrengung, und Alban drang es wie ein glühendes Schwert durchs Herz. Er hielt es nicht mehr aus und schloss die Augen. Und da hallten ihre Worte durch seinen Kopf und wurden leiser und leiser, wie ein Echo, das sich immer mehr verliert.
    »Die Musik sagt es mir. Die Musik ist schön … ist schön … ist schön …«
    Alban stöhnte auf und öffnete die Augen.
    Sein Radiowecker zeigte kurz vor halb neun. WDR 3 war angesprungen, und leise Musik zog durch den Raum. Der langsame Satz eines Vivaldi-Konzerts. Eine Oboe klagte, und es kam Alban vor, als liefere sie einen melancholischen Kommentar zu seinem Traum.
    Er spürte seinen feucht geschwitzten Schlafanzug, verließ das Bett und ging unter die Dusche. Als er angekleidet vor dem Spiegel stand und versuchte, sein graues Haar mit einem Kamm in Fasson zu bringen, ließ der Schmerz, den er im Traum empfunden hatte, endlich ein wenig nach.
    Unten in der Küche war für ihn ein Frühstücksgedeck vorbereitet. Im Korb lagen noch zwei Brötchen. Alban hob prüfend die Kaffeekanne an; sie war halb voll.
    Simone war längst zur Arbeit aufgebrochen. Sie hatten gestern noch zusammen zu Abend gegessen. Angesichts der wunderbaren Lammfilets, die Simone zubereitet hatte, und mit der Aussicht auf die Beschäftigung mit der Partitur, die ihm Arne Zimmermann überlassen hatte, war er, was die Störung in seinem Arbeitszimmer betraf, bald wieder versöhnt gewesen. Später am Abend war es ihm dann gelungen, die Gattin von Professor Gräber von der Bonner Uni telefonisch zu erreichen. Gräber war Musikwissenschaftler und sicher ein geeigneter Ansprechpartner, um etwas über die Handschrift zu erfahren.
    Von der Frau Professor, wie sich die Dame anreden ließ, hatte Alban erfahren, dass Gräber heute Morgen Vorlesung hatte – eine günstige Gelegenheit, um ihn zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher