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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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inspirierte.
    Hochvirtuos!
    Zerberus schien das schnelle Stück Energie verliehen zu haben. Er sprang von seinem Schlafplatz, lief durch den Raum und war mit einem Satz auf der Fensterbank, wo er schlagartig zur Statue erstarrte und sich auf den Garten konzentrierte.
    Voller Bewunderung verfolgte Alban die Dialoge der beiden Violinen im Wechsel mit den Orchesterpassagen, als plötzlich von außen gegen die Tür geklopft wurde. Noch bevor er etwas sagen konnte, steckte Simone den Kopf herein.
    Er warf ihr einen unmissverständlichen Blick zu. Es war noch nicht sieben, noch lange nicht.
    Simone sagte etwas, doch das Streicherensemble brach gerade in rasende Läufe aus. Die Hoffnung, dass sie wieder gehen würde, wenn sie sah, dass er in seine Arbeit vertieft war, schmolz dahin, als Simone in ihrer schmutzigen grünen Arbeitshose und mit dicken grauen Socken an den Füßen das Zimmer betrat, schnurstracks auf den CD-Player zuschritt und ihn ausschaltete. Telemanns Musik erstarb. Wie ein abgebrochener Zweig.
    »Ich habe gesagt, da ist Besuch für dich!«, schrie Simone, als müsse sie immer noch gegen die Musik ankommen.
    Alban schnaufte. »Ich arbeite!«
    »Ich weiß, aber da ist jemand, der dich unbedingt sprechen will. Er sagt, er sei ein Bekannter. Ich hab keine Lust, mich weiter mit ihm herumzuärgern. Schließlich hab ich auch meine Arbeit zu machen.«
    »Wer ist es?«
    »Ein Herr Zimmermann.«
    »Kenne ich nicht, und außerdem …«
    Alban verstummte, als sich die Tür ein Stück weiter öffnete und ein junger schmächtiger Mann sichtbar wurde. Kurzes Haar umschloss wie dunkler Flaum den runden Kopf.
    »Ich gehe dann mal wieder«, sagte Simone und drängte sich an dem jungen Mann vorbei nach draußen. Dann hörte Alban ihre gedämpften Schritte auf der Treppe.
    So viel zu meinem dringenden Wunsch, bei der Arbeit auf keinen Fall gestört zu werden, dachte er und presste die Kiefer aufeinander. Er bemühte sich, seinen Zorn im Zaum zu halten.
    »Kommen Sie doch bitte herein«, sagte Alban gequält.
    »Es tut mir furchtbar leid, wenn ich störe«, sagte der Mann. »Arne Zimmermann. Es dauert nur eine Minute.«
    »Kennen wir uns?« Alban war aufgestanden. Er wies auf Zerberus’ Schlafplatz und forderte den Besucher auf, sich zu setzen. Alban war sicher, dass er den jungen Mann noch nie gesehen hatte. Und plötzlich ahnte er, was hier los war. Zimmermann musste ein Musiker sein. Einer von den Unbekannten, die sich nach eigener Ansicht am Beginn einer großen Karriere befanden. Die bei irgendeinem Minilabel eine CD herausgebracht hatten und von Alban beurteilt werden wollten. Vielleicht fand auch in den nächsten Tagen in irgendeiner Kirche oder in einem kleinen Saal hier in der Nähe ein Konzert statt, zu dem man Alban einladen wollte. Und man versprach sich etwas davon, Albans Wohlwollen zu gewinnen.
    Normalerweise wurde man als Kritiker mit solchen Angeboten postalisch überhäuft. Dass jemand zu ihm nach Hause kam, und das auch noch unangemeldet, war neu. Aber es passierte ja alles irgendwann zum ersten Mal.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Alban und machte sich bereit, den Mann sofort abzuwimmeln. Er betrachtete Zimmermanns Hände, die eine schmale Aktentasche festhielten. Darin befanden sich aller Voraussicht nach eine Mappe mit Lebenslauf, ein paar bescheidenen Kritiken, einer CD vielleicht. Was für ein Instrument er wohl spielte? Die Finger waren lang und dünn. Vielleicht war er ja auch Sänger.
    »Kennen Sie Wolfgang Joch?«, fragte Zimmermann.
    Alban stutzte. »Wie bitte? Joch? Wer ist das?«
    Lag es an der schwachen Beleuchtung, dass ihm Zimmermann so blass vorkam? Seine Lippen schienen unnatürlich rot zu sein. Er sieht krank aus, dachte Alban. Auf jeden Fall übermüdet. Die Haut wirkt wie aus Wachs.
    »Wolfgang Joch«, wiederholte der Mann. »Denken Sie doch bitte einen Moment nach. Wolfgang Joch …«
    Vielleicht war dieser Joch sein Hochschullehrer, und der junge Mann würde ihm gleich ein Zeugnis oder ein Empfehlungsschreiben präsentieren. Dumm nur, dass Alban der Name gar nichts sagte.
    Zimmermann drehte den Kopf und sah sich in Albans Arbeitszimmer um. Sein Blick fiel auf die hohen Regale mit Büchern, Schallplatten, CDs und Noten. Er streifte den schwarz glänzenden Steinwayflügel hinten in der Ecke, und ihm blieben auch die Fotos nicht verborgen, die gleich neben Albans Schreibtisch auf einem Beistelltischchen standen. Sie zeigten Alban mit seiner verstorbenen Frau, der Pianistin Lea
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