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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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den Briefkasten werfen wollte – nur um dann festzustellen, dass dort ein großes Schild »Keine Reklame« angebracht war. Hoffentlich hielt er sich daran.
    Alban knipste die große Schreibtischlampe mit dem birnenförmigen Porzellanfuß an, die seine Schreibunterlage, ein Blatt Papier und einen scharf gespitzten Bleistift sofort in gelbliches Licht tauchte. Der Rest des Raumes versank in diffuser Dämmerung. An der gegenüberliegenden Wand waren schwach die digitalen Ziffern eines Zählwerks zu erkennen, das stetig aufwärtslief – fast im Takt der Mozart-Sinfonie, die das Arbeitszimmer erfüllte. Das Kammerorchester auf der CD arbeitete sich gerade den letzten Takten des Finales entgegen. Ein paar Sekunden noch, und das Stück war zu Ende.
    Alban nahm den Bleistift und schrieb.
    Der erste Akkord ist unsauber, ebenso wie der letzte. Dazwischen herrscht nichts als Langeweile. Viel zu viel Vibrato in den Streichern. Das Andante zu langsam.
    Nachdenklich griff er zu der CD-Hülle und betrachtete das Bild auf dem Cover. Etwas lenkte ihn ab, und er blickte auf. Weiter hinten im Raum, im Sessel in der Ecke neben dem Konzertflügel, regte sich ein kleiner dunkler Haufen Fell. Er hob sich, dann wurden Pfoten sichtbar, und das Ganze wurde ein ausgewachsener schwarzer Kater, der gähnend sein rosa Mäulchen aufsperrte.
    Zerberus hat das einzig Richtige getan, dachte Alban. Er hat die Musik verschlafen.
    Er stand auf, holte die CD aus dem Player, drückte sie in das Plastikgehäuse und legte sie auf den Stapel, durch den er sich bereits gearbeitet hatte. Gleich daneben wuchs ein weiterer quadratischer Turm aus dem Perserteppich. Er war deutlich höher. Das war die Musik, die es noch zu hören galt.
    Alban beschloss, einen Moment die Ruhe zu genießen. Wenn er zwei schlecht gespielte Mozart-Sinfonien hinter sich hatte und dann sofort eine unter Umständen mittelmäßige CD auflegte, konnte es sein, dass ihm der tief empfundene Wunsch nach schöner Musik einen Streich spielte. Es konnte geschehen, dass ihm die neue Aufnahme viel besser vorkam, als sie es war. So wie kaltes Wasser warm wirkt, wenn man sich vorher eisig abgeduscht hat.
    Unter Zerberus’ trägem Blick ging Alban ans Fenster und blickte auf die herbstlichen alten Bäume in seinem Garten. Das Unterholz am Rande des Rasens verdeckte die Grenze zum Godesbach und zu den anderen Grundstücken, die nur einen Steinwurf entfernt lagen.
    Alban bemerkte Simone, die im letzten Licht des Tages unten auf dem Rasen stand, gestützt auf ihren Rechen, mit dem sie einen großen Haufen Laub zusammengescharrt hatte. Ihr Blick ging in Richtung des Eingangs, und sie sprach mit jemandem, der vor der Haustür stand. Alban konnte nichts verstehen, und er sah auch nicht, wer es war. Vielleicht der Werbeausträger. Simone schüttelte ein paarmal den Kopf und schien über etwas zu diskutieren. Offenbar wollte der Mann nicht einsehen, dass man hier keine Reklame wünschte.
    Alban wandte sich wieder den beiden CD-Stapeln zu. Zerberus kauerte im Sessel und beobachtete ihn aufmerksam.
    Womit soll es weitergehen?
    Ein buntes Stillleben mit Blumen schmückte das Cover. Der Grafiker hatte zwischen die Blüten geschickt den Namen »Georg Philipp Telemann« eingearbeitet.
    Als Alban sich bückte, um die Compact Disc einzulegen, hörte er Simone unten im Flur. Ihre Stimme klang laut und aufgeregt. Dazwischen war eine weitere Person zu hören, offenbar ein Mann.
    Er schüttelte den Kopf. Was war dort unten nur los?
    Mehrmals wöchentlich, immer zwischen sechzehn und neunzehn Uhr, beschäftigte sich Alban mit dem, was die Schallplattenindustrie an klassischer Musik herausgab. Nach und nach, mit unerbittlicher Präzision, und das nicht etwa aus finanziellen Gründen, sondern aus purer Leidenschaft für die Musik. In dieser Zeit konnte Bonn im Rhein versinken – Alban wünschte auf keinen Fall gestört zu werden. Er hatte es Simone immer wieder gepredigt.
    Der Schlitten mit der aufliegenden Silberscheibe fuhr mit einem leisen schleifenden Geräusch ins Innere des Players. Alban drückte die Starttaste, kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich in den lederbezogenen Sessel. Getragene, ernste Musik erfüllte den Raum. Zwei Violinen erklangen, begleitet vom Streichorchester und den weich gezupften Akkorden von Laute und Cembalo.
    Ausgewogenes, reizvolles Klangbild , notierte Alban.
    Der zweite Satz begann – ein temperamentvolles Allegro, das Alban wieder zu einer Notiz
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