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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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wieder lebendig werden zu lassen. Aber Sie, Herr Alban, Sie werden nie erfahren, wie die Stimme klingt. Doch ich versichere Ihnen: Sie ist es wert, dass man dafür einen kleinen Jungen aus einem dreckigen sizilianischen Waisenhaus holt. Und sie ist es auch wert, dass dafür diese neugierige Dichterin starb. Und Joch … Er hatte sich seinen Tod selbst zuzuschreiben. Er hat mit Domenico über Dagmar Dennekamp gesprochen und eins und eins zusammengezählt. Und er wollte aussteigen. Zur Polizei gehen. Dabei waren wir fast am Ziel.«
    Ein metallisches Schnalzen ertönte, als Bernardi die Pistole durchlud.
    Er will es tatsächlich hier zu Ende bringen, dachte Alban. Eigenartigerweise verfiel er nicht in Panik. Es war wie in einem seiner Träume. Er schien sich selbst dabei zuzusehen, wie er hier vor Bernardi stand und gleich erschossen wurde. Niemand würde diesen Schuss und den zweiten Schuss, der dann Simone galt, hören. Sie waren kilometerweit von anderen Häusern entfernt. Die einzige Person, die außer ihnen hier im Hause war, war taub.
    »Es tut mir leid, Simone«, murmelte er, und sie sagte ebenfalls etwas, ohne ihn anzusehen. Er konnte sie nicht verstehen.
    Alban schloss die Augen und erwartete, durch die gewaltige Wucht des Geschosses niedergestreckt zu werden. Ob man große Schmerzen litt? Oder ob man sofort das Bewusstsein verlor?
    Plötzlich quietschte etwas leise. Dann trat wieder Stille ein. Alban machte die Augen auf und erkannte, dass sich die Szene verändert hatte.

     
    Der Junge steht hinter der Tür und kann nicht fassen, was er da hört. Die Frau ist tot. Der Mann hat sie getötet. Der Mann ist ein Mörder. Und den anderen Mann, den er immer Wolfgang nannte, weil er den Nachnamen nicht aussprechen konnte, hat er ebenfalls umgebracht. Und das alles seinetwegen.
    Jäh überfällt ihn der Schmerz. Es glüht in seiner Brust wie Lava. Der Junge ringt nach Atem. Ein plötzlicher Weinkrampf schüttelt ihn. Dann wird ihm klar, dass dort drinnen gleich ein weiterer Mord geschehen wird.
    Er drückt die Klinke hinunter und öffnet die Tür.

     
    Durch den Türrahmen trat ein sehr großer, schlanker junger Mann. Er musste sich ducken, als er hereinkam, denn die Tür war für ihn zu niedrig. Er trug ein weißes Hemd und eine dunkle Hose. Seine Gestalt sah merkwürdig unproportioniert aus. Der Oberkörper wirkte wuchtig, wie aufgebläht, der Kopf mit dem dichten dunklen Haar und dem unnatürlich roten Mund viel zu klein.
    Alban erschrak über die Gestalt, die schön und doch erschreckend wirkte. Wie ein Monster – angsteinflößend und gleichzeitig mitleiderregend. Ein gequälter Blick, als habe der Junge schlimme seelische Folter hinter sich, legte sich auf Alban und Simone.
    Bernardi blickte überrascht in die Richtung des Jungen, fasste sich aber sofort wieder und rief ihm etwas auf Italienisch zu.
    Alban verstand so viel, dass er dem Jungen befahl, zurück auf sein Zimmer zu gehen.
    Der Junge kümmerte sich nicht darum, ging ein paar Schritte auf Alban zu, betrachtete ihn, als wolle er erforschen, wer der Mann war. Alban hatte das Gefühl, als starre ihn ein fremdes Wesen an, das noch nie einen Menschen gesehen hatte. Ein Tier, das aus irgendwelchen Tiefen der Urzeit gekrochen war.
    »Domenico«, sagte Alban, aber der Junge wandte sich Bernardi zu und näherte sich ihm mit wenigen Schritten. Dann streckte er den unglaublich langen Arm aus und entwand dem überraschten Dottore mit einem einzigen Griff die Pistole.
    Für ein, zwei Herzschläge fror die Szenerie ein. Der Junge schien zu überlegen, was er tun sollte. Dann setzten seine riesigen Hände den Lauf der Waffe an seine Brust. Der Knall, der folgte, war überraschend dumpf. Die riesenhafte Gestalt brach um wie ein gefällter Baum, dann lag der Junge am Boden, die Augen starr geöffnet. Auf dem Hemd wuchs ein roter Fleck.
    Alban sah, wie in Simone das Leben erwachte. Sie preschte zu dem Jungen, nahm ihm die Pistole aus der schlaffen Hand und zielte auf Bernardi, der nur dastand und auf Domenico starrte.
    Es war still im Raum, als sich vom Mund des Jungen ein langer, letzter Seufzer löste.

26
    Zwei Tage später verfolgten Alban die Bilder immer noch.
    Bernardi, der hilflos mit ansah, wie Domenico starb. Wie er versteinert stehen geblieben war, als Alban den Raum verlassen, sich auf die Suche nach einem Telefon gemacht hatte und schließlich nach langer Lauferei über die Gänge in den anderen Flügel des Anwesens geraten war, wo er Bernardis
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