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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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Stimme, diese falsche Stimme widert ihn an. Doch da ist der Mann schon ganz nahe und packt ihn am Arm. Der eisenharte Griff schmerzt, und der Junge stöhnt auf. Etwas Hartes drückt ihm brutal in die Leiste. Der Pistolenlauf.
    Komm mit, fordert der Mann scharf. Komm jetzt mit.
    Der Junge dreht den Kopf, obwohl er sich dafür sehr anstrengen muss, denn der Mann will ihn in die andere Richtung drängen. Die Lichter dort drüben auf der anderen Seite des Flusses … Ein harter Griff und der Junge schreit vor Schmerz auf. Die Lichter verschwinden.
    Es ist vorbei. Sie wartet nicht. Sie ist gar nicht mehr da.
    Ohne Gegenwehr geht er mit. Es sind nur wenige Schritte bis zu dem großen dunklen Wagen.

     
    Alban legte zum x-ten Mal einen kreisförmigen Weg rund um die drei Stühle zurück. Simone saß in der Mitte und starrte auf ihr Handy.
    Ich hätte es wissen müssen, dachte Alban. Es musste noch jemand im Haus sein. Mit den Studierzimmern und dem kleinen Ausbildungsraum hier war es nicht getan. Es musste sich jemand um die Hauswirtschaft kümmern. Jemand musste die Menschen, die hier lebten, versorgen. Musste kochen, einkaufen, putzen.
    Das Haus war riesig. Sie hatten nur einen Bruchteil sehen können. Irgendwo musste es eine Küche geben. Weitere Wohnräume …
    Simone blickte auf. »Kannst du nicht mal stehen bleiben? Das macht mich nervös.«
    Alban ging zu einer der Fensterbänke an der Längsseite. Das Erste, was sie versucht hatten, war, durch die Fenster nach draußen zu kommen. Aber die Fenster waren vergittert. Und wahrscheinlich so hoch, dass sie sich ohnehin den Hals brechen würden …
    Warum ist uns die Frau nicht früher begegnet?, dachte er. Offensichtlich ist sie selbst jetzt erst zurückgekommen. Sie hat das Licht gesehen und gedacht, Bernardi wäre da. Vielleicht hat sie auch nach dem Jungen gesucht. Sie muss genauso überrascht gewesen sein wie wir.
    Alban lehnte sich an die Fensterbank, aber lange hielt er es in dieser Ruhestellung nicht aus. Unter Simones missbilligendem Blick marschierte er auf das Podest, betrat die improvisierte Bühne und nahm die Noten und CDs in dem Regal in Augenschein. Soweit die CDs beschriftet waren, handelte es sich um Sängerliteratur. Sopranarien aus verschiedenen Barockopern. Die Noten gehörten zum selben Repertoire. Alban erkannte Beistiftnotizen. Einzeichnungen, wie man sie bei Proben machte.
    Er untersuchte einen großen Stapel. Wie er erwartet hatte, fand er handschriftliche Noten. Wieder dieselbe Schrift wie die der Arie. Sie war schwungvoll, ästhetisch, selbstbewusst.
    Alban legte die Noten zurück und bemerkte eine große Holzkiste, die in der Ecke stand. Er öffnete den Deckel. Ein Sammelsurium von Kostümen. Natürlich, dachte er. Hier hat die Aufführung der Arie stattgefunden, die auf dem Video zu sehen war. Sicher gibt es hier noch mehr aufgezeichnetes Material. Sie haben den jungen Mann auf seine Karriere vorbereitet …
    Alban schreckte auf, als er Schritte hörte. Es gab ein knirschendes Geräusch, und die Tür öffnete sich. Bernardi betrat den Raum. Hinter ihm die schwarzhaarige Frau.
    Der Dottore trug denselben dunklen Anzug wie an dem Abend, als Alban mit ihm im Restaurant gewesen war. Das Goldkettchen glänzte fahl. In einer Geste der Entrüstung nahm Bernardi seine Brille ab, steckte sie in die Innentasche seiner Anzugjacke und sah Alban mit einer Mischung aus Bosheit und Hohn an.
    »Herr Alban«, sagte er. »Ich nahm an, gewöhnliche Einbrecher vorzufinden, aber dass Sie es sind … Wie kommen Sie dazu, hier einzudringen?«
    Der Dottore gab der Frau ein paar Zeichen. Sie nickte erleichtert und verließ den Raum.
    Gebärdensprache, dachte Alban. Sie ist taub. Das erklärt einiges.
    Er bemühte sich, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. »Wir wissen, was hier los ist, Herr Bernardi. Und die Polizei weiß es auch.«
    Der Dottore verzog den Mund zu einem Lächeln. »Was soll hier los sein, Herr Alban? Ich lebe hier oben zusammen mit meiner Schwester und widme mich meinen Studien. Das dürfte Ihnen doch nicht fremd sein.«
    »Sie leben hier aber nicht allein, Herr Bernardi.«
    »Natürlich nicht. Wie gesagt, meine Schwester …«
    »Herr Joch hatte hier ebenfalls sein Refugium. Wollen Sie das bestreiten?«
    Bernardi nickte langsam, wobei er seine schwarzen Augen auf Alban ruhen ließ. »Sicher«, sagte er dann, »auch Dottore Joch war manchmal hier. Aber ich wüsste nicht, was Sie das angeht.« Bernardi schüttelte den Kopf und bemühte sich,
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