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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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hatte er kontrolliert, ob auch die richtigen Weinflaschen parat standen. Dabei war ihm auch der amüsierte Blick nicht entgangen, den Simone ihm immer wieder zuwarf. Es gab praktisch nichts, was Alban ernsthaft aus der Ruhe bringen konnte, aber das wöchentliche Musizieren ließ seinen Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen schnellen.
    Dabei ging es gar nicht darum, einen Musikpreis zu gewinnen oder gar eine Aufführung in einem Konzertsaal vorzubereiten. Das Quartettspiel war eine reine Privatunterhaltung ohne Publikum. Nur Simone, die selbst kein Instrument spielte, durfte zuhören, wenn sie wollte. Alban träumte jedoch insgeheim davon, mit seinem Ensemble eines Tages öffentlich aufzutreten. Vielleicht sogar im Beethovenhaus. Irgendwann. Wenn sie genug geprobt hatten …
    Die Türklingel ging genau um drei Minuten nach sieben. Wie immer kamen Dr. Stollmann und Fiona Bertram als Erste. Albans pensionierter ehemaliger Hausarzt ließ es sich nicht nehmen, die attraktive Kölner Musikstudentin am Godesberger Bahnhof abzuholen und nach dem Musizieren wieder dorthin zu bringen. Stollmann war seit Jahren Witwer und hatte nach und nach gewisse Fähigkeiten als Charmeur wiederentdeckt, die ihm wohl auch in seiner Jugend zu eigen gewesen waren. Dass er in Albans Quartett nur die zweite Geige übernahm, störte ihn nicht.
    »Da sind wir nun!«, rief er überschwänglich. »Einen schönen guten Abend allerseits.«
    In der Linken trug er seinen Geigenkasten, mit der Rechten schob er Fiona sanft durch die Tür. Unter der schwarzen Baskenmütze flossen rote Haare auf ihre Schultern. Auch sie trug einen Instrumentenkoffer. Kaum war sie hereingekommen, verdrängte blumiger Parfümduft den Essensgeruch, der aus der Küche drang.
    Stollmann nahm seinen Hut ab, stellte die Geige in die Ecke und hatte rasch seinen Mantel ausgezogen, um dann Fiona behilflich zu sein. Doch sie beachtete die Geste des alten Kavaliers gar nicht, sondern begrüßte schüchtern, aber mit strahlendem Gesicht Alban. Endlich durfte Stollmann Fionas Mantel und Mütze versorgen, während Simone mit einer bunten Schürze über Jeans und Pullover aus der Küche kam, die Ankömmlinge ebenfalls begrüßte und ihnen etwas zu trinken anbot.
    »Danke, für mich nicht«, sagte Fiona. Stollmann ließ sein übliches »Da sage ich nicht nein« hören und folgte Simone in die Küche. Es war jedes Mal dasselbe Ritual, und dazu gehörte auch, dass Fiona Alban fragte: »Haben Sie wieder interessante CDs bekommen?«, und Alban sagte: »Der Turm ist wieder gewachsen. Wenn Sie Lust haben, können Sie gern nachsehen, ob Sie etwas interessiert.«
    Alban sah auf die Uhr. Gerhard Kessler, der das Cello übernahm, würde hoffentlich jeden Moment auftauchen. Er war Kriminalkommissar, und sie waren es gewohnt, dass er mitunter etwas unpünktlich war.
    Fiona nahm ihren Bratschenkasten und folgte Alban die Treppe hinauf. Als sie das Arbeitszimmer betreten hatten, das sich jetzt in einen Probenraum verwandelt hatte, klingelte das Telefon.
    »Einen Moment bitte«, sagte Alban und deutete auf die CD-Stapel, die vor der Stereoanlage standen. Dann umrundete er die vier Stühle und nahm das Telefon ab. Es war Kessler.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Aber ich hänge noch im Präsidium fest.«
    »Heißt das etwa, du kommst nicht?«
    »Doch, doch. Ich denke, dass ich mich in zehn, fünfzehn Minuten loseisen kann. Du weißt ja: Verbrecher …«
    »… richten sich nicht nach Dienstzeiten. Ist bekannt.«
    »Sind unsere Mitstreiter denn schon da?«
    »Gerade eingetroffen. Aber im Moment interessieren sie sich noch für andere Dinge als Beethoven. Fiona sieht meine aktuellen Neuzugänge durch, und Dr. Stollmann hat sich unten bei Simone festgebissen. Ganz in der Nähe des Weinvorrats, wie üblich.«
    »Sag ihm, er soll noch was übrig lassen. Ich beeile mich.«
    Als Alban aufgelegt hatte, öffnete sich die Tür, und Stollmann kam strahlend herein – in der einen Hand ein Glas, in dem dunkelrote Flüssigkeit schimmerte, in der anderen den Geigenkasten. »Na, wollen wir ein wenig aufspielen?«, rief er aufgeräumt. »Wo ist denn unser Cellist?«
    »Noch verhindert«, sagte Alban. »Aber angeblich kommt er gleich.«
    »Ja, ja«, sagte Stollmann. »Verbrecher richten sich nicht nach Dienstzeiten. Das wissen wir bereits. Vielleicht können wir ja schon mal stimmen.« Er stellte das Glas auf Albans Schreibtisch und legte den Geigenkasten quer auf den Sessel, der sonst Zerberus’ Refugium war.
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