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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel
Autoren: Oliver Buslau
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Angesichts der Menschenmassen, die jetzt eingefallen waren, hatte sich der Kater in die unteren Räume zurückgezogen.
    Die Noten lagen bereit: Ludwig van Beethovens Streichquartett op. 59 Nr. 1. Vor der Entscheidung, sich gerade dieses Werk vorzunehmen, hatte es lange Debatten gegeben. Alban war der Ansicht, dass es eigentlich zu schwer war. Stollmann dagegen sah das ganz anders. »Beethoven muss es auf jeden Fall sein«, hatte er ins Feld geführt. »Schließlich leben wir in Bonn.« Dass er als Bonner aber noch lange nicht von Geburt an in der Lage war, den mitunter ziemlich heiklen Part der zweiten Violine zu beherrschen, hatte er nicht bedacht. Kessler hatte dem Stück ebenfalls zugestimmt, was vor allem an den dankbaren Cellopassagen lag. Fiona hatte keine Meinung geäußert, und Alban hatte schließlich eingewilligt, es einfach mal zu versuchen. Das war ein knappes halbes Jahr her, und seitdem verbissen sie sich Woche für Woche in das Stück.
    Fiona setzte sich Alban gegenüber, lächelte ihm zu und blätterte dann in den Noten. Stollmann nahm neben Alban Platz. Alle drei begannen, ihre Instrumente zu stimmen, und Stollmann fing an, leise ein paar schwierige Stellen vor sich hinzuspielen.
    »Geübt wird zu Hause«, mahnte Alban, der gerade mit der richtigen Stimmung der G-Saite kämpfte. Der zweite Geiger setzte gehorsam sein Instrument auf dem Schoß ab und sah erwartungsvoll in die Runde.
    »Machen wir einen kleinen Durchgang ohne Gerhard«, sagte Alban. »Auch wenn es sicher komisch klingt. Herr Beethoven wird es uns verzeihen. Beginnen wir mit dem ersten Satz. Bitte mäßiges Tempo.«
    Für ein paar Sekunden trat Stille ein, dann begannen sie. Alban wurde sofort klar, dass es keinen Zweck hatte. Man konnte das Stück nicht spielen, wenn der Cellist fehlte. Abgesehen davon, dass jedes Quartett ohne das Bassinstrument sprichwörtlich in der Luft hing und sogar dann, wenn die drei übrigen Musiker korrekt spielten, klanglich unbefriedigend blieb, steigerte sich das Problem gerade bei diesem Stück, weil Beethoven dem Cellisten fast so etwas wie eine Solistenrolle anvertraut hatte.
    Wie ein Autorennen mit Plattfuß, dachte Alban, als sie sich durch die stupide Wiederholung der immer gleichen Noten kämpften, die eigentlich als Begleitung der eröffnenden Cellomelodie gedacht waren. Immerhin gab es etwas später einen kleinen Dialog der anderen Instrumente, sodass die Abwesenheit der tiefsten Stimme ein nicht ganz so großes Loch riss. Das Ganze klang einfach nur ziemlich dünn.
    Und es gab ein weiteres Hindernis: das Spiel von Stollmann. Wie Alban befürchtet hatte, war er wieder einmal völlig unvorbereitet. Fiona dagegen ging der Bratschenpart leicht von der Hand, und sie verzog angesichts Stollmanns katastrophal schiefem Spiel keine Miene. Alban erkannte aus den Augenwinkeln, dass der zweite Geiger seine Einsätze mit großem Körpereinsatz verband. Er holte mächtig aus, bevor er sich zur Vorstellung einer längeren Passage aufschwang, und sein Gehabe stand zu dem, was er klanglich von sich gab, in geradezu lächerlichem Kontrast.
    Je länger sich das Quartett hinzog, desto klarer sah Alban den heimlich gehegten Plan, ein öffentliches Konzert zu geben, wieder einmal schwinden. Und je länger Kessler auf sich warten ließ, desto mehr verschlechterte sich seine Laune. Diesmal stellte sie der Kommissar wirklich auf eine harte Probe. Denn er kam nach fünfzehn Minuten nicht und nach dreißig auch nicht.
    So spielte das unvollständige Ensemble das ganze Beethoven-Quartett ohne die vierte Stimme durch.
    »Goethe hat das Streichquartett einmal mit einem Gespräch von vier Menschen verglichen«, sagte Alban, als sie endlich den Schlussakkord hinter sich gebracht hatten. »Aber wenn einer der vier fehlt, dann wirkt es wie …«
    »… wie eine Liebesszene, in der einer der beiden Schauspieler fehlt«, vollendete Fiona den Satz und schenkte Alban ein unergründliches Lächeln.
    Alban nickte. »Ich denke, es war schon mal eine gute Übung für uns.«
    »Herr Kessler wird begeistert sein, wie großartig wir gleich seine Solostellen begleiten werden«, verkündete Stollmann selbstzufrieden und langte nach dem Weinglas.
    »Na ja, an so einigem muss man ja noch arbeiten«, wandte Alban vorsichtig ein. »Vor allem im Finale. Also von vorne.« Er blätterte die Noten zurück.
    »Wollen wir nicht vielleicht eine kleine Pause machen?«, fragte Fiona. »Herr Kessler wird doch sicher gleich kommen.«
    Alban nickte.
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