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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme
Autoren: Julia Krohn
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unverständlichen Wunsch nach Einsamkeit. Graf Robert hatte ihn zwar nie dabei beobachtet, aber er stellte sich vor, wie – wenn Audacer stundenlang die Wälder durchstreifte – das Misstrauen aus seinen Zügen wich und einem süßen Schmerz Raum gab: der Beglückung, das Herz der Natur pochen zu hören, und der Trauer, dass er ihr nie so vollkommen angehören würde wie das freie und wilde Getier des Waldes.
    »Doch, doch!«, widersprach der Graf heftig. »Gott ist gütig! Gleichwohl wir Seine Taten nicht immer verstehen, sie uns unberechenbar erscheinen, folgen sie doch Seinem großen Plan.«
    »Ist Er etwa gütig zu Euch, Graf?«, fuhr Audacer auf. »Ich weiß, dass Ihr seit mehr als fünf Jahren auf einen Sohn wartet und Euer Weib einfach nicht schwanger wird.«
    Der Graf zuckte zusammen, einzig erleichtert, dass Alpais diese Worte nicht hören konnte. Sie ertrug ihre Kinderlosigkeit mit der Fassung eines stillen, demütigen Menschen, der schlichtweg nie gelernt hatte aufzubegehren, weder gegen das Walten eines anderen Menschen noch gegen das des fordernden Schicksals. Doch er ahnte, dass ihr Seelenfrieden gesicherter war, solange die Wahrheit nicht laut ausgesprochen wurde.
    »Hör mir gut zu, Audacer!«, rief er streng. »Ich weiß, dass es für dich bitterer ist als für jeden anderen, sein Weib zu verlieren. Niemand außer dir hat so lange gebraucht, sich überhaupt durchzuringen,eines zu ehelichen. Ich weiß auch, dass Hildegund die Richtige für dich war, weil sie die Stille liebte wie du und dir niemals vorgeworfen hat, dass du die Abgeschiedenheit suchst. Und dennoch wusstest du, was wir alle wissen: Das Begehren des Mannes kann die Frau töten. Denn die Lust kam mit dem Sündenfall, und die Strafe für diesen Sündenfall ist, dass die Frau unter Schmerzen gebiert.«
    Erstmals hob Audacer den Kopf. Graf Robert erschrak über das Gesicht: Dass es sonnengegerbt und gefurcht war wie ein frisch beackertes Feld, war ihm vertraut, nicht aber, dass Audacers Augen nässten.
    »Ihr habt sie nicht gesehen! Sie hat drei Tage lang gelitten!«
    »Und gottlob durfte sie danach endlich den geschwächten Geist aushauchen«, hielt der Graf an seiner Rede fest. »Das Kind aber lebt! Du hast einen Sohn! Und lass dir sagen: Alle Männer wissen, dass man besser einen Sohn hat als eine Frau.«
    »Gilt das auch für Euch?«, entgegnete Audacer, und sein eben noch gramerfüllter Blick wurde lauernd. »Ihr haltet an Eurer Ehe fest, obwohl Ihr keinen Sohn habt und Alpais darum verstoßen könntet. Niemand würde es Euch vorwerfen, wenn Ihr Eure Ehe auflöst, nicht einmal die Priester. Sie schimpfen zwar laut, wenn manche Männer sich mehrere Frauen halten. Aber wenn ein Weib unfruchtbar ist …« Audacer hielt inne, ein Geräusch am anderen Ende des Saals hatte ihn zum Schweigen gebracht.
    Als Graf Robert seinem Blick folgte, stöhnte er unwillkürlich auf. Alpais stand dort, mit kalkweißem Gesicht und vor Schreck geweiteten Augen. Dies war also der Dank dafür, dass er Audacer nun schon seit Stunden in seinem Kummer beistand – dass jener sein Weib vor den Kopf stieß?
    »Alpais …«, setzte Robert bedauernd an, als sie nähertrat. Er suchte nach einer Erklärung, überlegte, wie er ihr beteuern könnte, dass er sie nie verstoßen würde. Nicht, dass sie ihm sonderlich wertvoll war. Aber er war keiner, der vor Prüfungen davonlief, weder vor jenen, die sein Amt mit sich brachte, noch vor denen, die ihm das Leben stellte. Er war sich gewiss, dass allesseine Berechtigung und seinen Sinn hatte, und wer sich dagegen störrisch auflehnte, wie Audacer es tat, der war in seinen Augen zwar kein Sünder, aber doch ein Schwächling. Ganz gleich, was Audacer über die Priester sagte – hatte der Gelehrte Jonas von Orléans es nicht scharf kritisiert, Ehen bei Kinderlosigkeit zu beenden?
    Dem Willen Gottes galt es, sich zu beugen, auch wenn er oft mit diesem Willen haderte, wenn er sich zum Gebet nach Saint-Vincent zurückzog, der Kirche von Laon, wo sämtliche Bischöfe der Stadt begraben lagen.
    »Alpais«, setzte er erneut an, da seine Frau sich nicht rührte. »Audacer wollte gewiss nicht … «
    Sie fiel ihm ins Wort, was für eine Frau wie Alpais ungewöhnlich genug war. »Du musst sofort kommen, mein Gemahl. Es ist etwas Schreckliches geschehen.«
    Ihre Worte stimmten ihn zunächst erleichtert. Sie hatte also doch nicht gehört, was Audacer gesagt hatte. Als er aber hinter Alpais weitere Frauen in den Saal strömen sah, ihre
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