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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme
Autoren: Julia Krohn
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Damen und auch einfache Mägde, zuckte er zusammen. Sie redeten wild durcheinander, doch die Botschaft, die sie überbrachten, schälte sich erstaunlich klar aus dem wilden Wortschwall.
    Graf Robert sprang auf. »Das ist doch nicht möglich!«, rief er.
    Alpais schlug die Hand vor den Mund. »Doch«, stammelte sie undeutlich, »doch … «
     
    Robert von Laon hatte in seinem Leben vieles gesehen: Menschen mit grässlichen Verwundungen – mit tiefen Schnitten, sodass rohes Fleisch hervorquoll, oder mit schwärenden Stümpfen dort, wo für gewöhnlich Hände oder Füße waren. Desgleichen Menschen, die die qualvolle Langsamkeit des Sterbens erdulden mussten, die stinkend und vor Schmerzen verkrampft ihrem Siechtum einfach nicht erliegen mochten. Vor einigen Tagen noch war er am Totenbett von Audacers Weib Hildegund gestanden, die Luft war noch schwer gewesen vom Blut, das sie währendder Geburt verloren hatte, und erfüllt von schwarzen Fliegen, die um ihren Leichnam surrten. In ihrem Gesicht stand nichts von Erlösung zu lesen, nur von den Qualen der hiesigen Welt.
    Doch nichts hatte ihn jemals so bestürzt wie der Anblick der Frau, die eben wankend in den Saal geleitet wurde und dort zusammenbrach.
    Sein Entsetzen und auch sein Ekel mussten ihm nur allzu deutlich anzusehen sein, denn mit einem Mal verstummten die aufgeregten Weiber. Die Stille war ebenso schwer zu ertragen wie der Anblick der Frau, deren Körper nicht einfach nur bebte, sondern von einer unsichtbaren Macht durchschüttelt schien.
    »Sie friert!«, stellte er heiser fest, um die Stille auszufüllen. »Führt sie zum Kamin!«
    Die Mägde schienen sich zu scheuen, das halbtote Wesen anzufassen. Doch Alpais, von der Robert nicht genau wusste, ob sie tatsächlich ein herzensguter Mensch war oder einfach nur jedem Befehl folgte, um nicht aufzufallen, beugte sich zu der Frau, um sie in den Schein der wärmenden Flammen zu ziehen.
    Da bäumte sich das erbarmungswürdige Wesen auf. »Nicht!«, kroch eine Stimme aus ihrer Kehle, die den Grafen nicht minder zerrissen und geschunden deuchte als die ganze Gestalt. »Nicht zum Feuer, bitte!«
    Graf Robert blickte sich hilfesuchend um, nicht gewiss, was er als Nächstes tun sollte. Erst jetzt bemerkte er, dass Audacer sich erhoben hatte und langsam nähertrat. Als der Graf ihn aus den Augenwinkeln musterte, gewahrte er das gleiche Entsetzen, das auch in seinem Gesicht stehen musste.
    »Wer hat sie so zugerichtet?«, hörte Robert ihn stammeln.
    Selbst Alpais war mittlerweile wieder von der gepeinigten Frau, die immer noch schlotterte, zurückgewichen und starrte auf sie hinab, zwar nicht mit offenkundigem Ekel wie die Männer, aber mit tiefem Unbehagen.
    Die Füße der Frau glichen blutigen Stümpfen, selbst der Rist war von vielen Kratzern übersät. Ihr Gesicht war über und über mit Schlamm bedeckt. Ein Teil der Haare war verbrannt undstand ihr wie ein schwarzer Heiligenschein vom Kopfe weg. Ausgemergelt waren die Züge, die Augen geweitet. In der Leibesmitte breitete sich ein dunkler Fleck aus – offenbar Blut.
    Sie ist geschändet worden, dachte der Graf zunächst. Doch als sein Blick auf ihre Brüste fiel, erkannte er, dass es auch einen anderen Grund dafür geben konnte, weshalb Blut aus ihrer Scham sickerte.
    »Was ist mit dir geschehen?«, fragte der Graf.
    Diesmal war die Stimme der Frau erlöschend leise. »Wo bin ich?«, fragte sie zurück.
    »In Laon.«
    »Wo bin ich?«, wiederholte sie, als hätten seine Worte sie nicht erreicht.
    »Laon ist eine Stadt, ich bin ihr Graf.«
    »Wo bin ich?«, fragte sie zum dritten Mal.
    »Du bist in der Francia, in Gallien. Das ist jener Teil des Reichs, wo König Karl herrscht. In den anderen Teilen, im Ostfranken- und im Mittelreich, herrschen seine Brüder.«
    Die Frau blieb stumm, und an ihrer Stelle begann nun Audacer zu sprechen. »Ich habe Gerüchte gehört«, murmelte er in Roberts Richtung. »Ich habe sie nicht glauben wollen, deswegen habe ich sie nicht erzählt.«
    »Welche Gerüchte?«, rief Graf Robert und bemerkte, wie Alpais zusammenzuckte.
    »Schiffe«, begann Audacer mit seiner rauen Stimme, »ihre Schiffe sind die Seine entlanggekommen. Das war Anfang Mai. Es heißt, ihr Anführer sei ein gewisser Âsgeirr.«
    Er sprach den Namen aus, als wäre er der des Teufels. Eine der Mägde bekreuzigte sich.
    »Ja«, murmelte der Graf, »ja, das habe ich auch gehört. Sie sollen Rouen zerstört haben und die Abtei von Saint-Ouen. Aber der Bischof meinte, es
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