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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme
Autoren: Julia Krohn
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Vertrag von Meerssen führten, worin das Erbe Lothars II. zwischen Karl dem Kahlen und Ludovicus Germanicus aufgeteilt wurde, und wurde der Vasall von beiden. Er starb nach 880.
    Vieles in diesem Roman orientiert sich an historischen Tatsachen. Ebenso vieles ist aber auch erfunden, was nicht zuletzt daran liegt, dass Quellen aus dieser Zeit ein nur ungenaues Bild zeichnen und vieles nicht erwähnen. Manches liegt im Dunkeln – über anderes gibt es widersprüchliche Aussagen.
    Das betrifft zum Beispiel Balduin Eisenarms Herkunft. Aus den ersten Quellen, die über die Geschichte von Balduin und Judith berichten – den Annalen von Saint-Bertin, die der Mönch Witger zwischen 951 und 959 aufschrieb –, lässt sich so gut wie nichts über seine Familie erfahren. Generell rückt diese Quelle Judith deutlich in den Vordergrund; sie erscheint als die Aktive, die selbst für ihre Flucht sorgte. Der Mönch Witger dürfte hier in erster Linie der Intention gefolgt sein, die königliche Herkunft der Grafen von Flandern zu belegen. Der Beginn eines als ruhmreich benannten Geschlechts lag folglich ganz klar bei dieser »Stammmutter«, die als ausgesprochen klug und wunderschön bezeichnet wird.
    In einer Quelle vom Beginn des 12. Jahrhunderts hingegen – der zweiten flämischen Genealogie – beginnt die Familie plötzlich nicht mehr mit Judith und Balduin, sondern zwei Generationen früher: mit einem gewissen Lidricus, seinerseits Vater von Ingelram, der wiederum Vater von Audacer ist. Allen dreien werden große Verdienste als Krieger nachgesagt. Ob diese Männer freilich historische Persönlichkeiten oder doch eher mythische Heldenfiguren waren, lässt sich nicht genau feststellen.
    In jedem Fall folgt das Liber floridus des Lambert von Saint-Omer (um 1120 entstanden), dem eine Genealogie der Grafen von Flandern eingefügt wurde, dieser Tendenz. Die Entführung Judiths wird hier zwar noch erwähnt – aber es ist nur mehr einevon mehreren Einheiraten flandrischer Grafen in königliche Familien. Die eigentliche »Heldentat« ist nicht so sehr Balduins gemeinsame Flucht mit Judith, sondern die Inbesitznahme Flanderns durch dessen Urgroßvater Graf Lidricus, der dieses Gebiet Kaiser Karl dem Großen vor der Nase weggeschnappt haben soll.
    Im 1160 verfassten genealogischen Bericht in der »Flandria generosa« schwindet Judiths Rolle bei der Entführung dann völlig; sie geht allein auf Balduins Initiative zurück – als eine von vielen großen Taten, die die Männer des Geschlechts verzeichnen können.
     
    Betrachtet man diese Entwicklung, so zeigt sich, dass Judith zunächst als eine tatkräftige Frau wahrgenommen wird, die am Beginn einer – später einflussreichen – Dynastie steht, dann aber zunehmend zum Spielball eines der heroischen Männer Flanderns degradiert wird. Diese Marginalisierung lässt sich wohl vor dem Hintergrund erklären, dass man im 12. Jahrhundert diverse einflussreiche und machtbewusste flandrische Gräfinnen »zurechtstutzen« wollte. Eine Frau, die ihnen zum Vorbild gereichen würde, passte da nicht in die Familiengeschichte.
    Diesem Trend einer durchwegs männlichen Geschichtsschreibung wollte ich bewusst entgegenwirken, und ich tat dies, indem ich Judith ganz klar an den Beginn der Dynastie gesetzt und Balduins Geschichte nicht von Anfang an mit Flandern verknüpft habe.
    Seine Verbindung zur Grafschaft Laon wiederum ist nicht willkürlich gewählt. Damit beziehe ich mich auf eine Theorie in der Balduin-Forschung, die von mehreren Wissenschaftlern geteilt, jedoch von keiner Quelle bestätigt wurde: Der Historiker François L. Ganshof versuchte nachzuweisen, dass Balduin möglicherweise einer Familie in Lothringen entstammte und jene wiederum eng mit den Grafen von Laon verbunden war. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt David Nicholas.
    Wie es nun wirklich gewesen sein mag, wird sich wohl niemalsgenau klären lassen – und diesen Anspruch erhebt mein Buch auch nicht, das vorrangig Roman, nicht Biographie ist.
     
    Zuletzt möchte ich auf die Wahl einiger Begrifflichkeiten eingehen. Um die Orientierung zu erleichtern, habe ich – wie schon in anderen Romanen – Städte und Ortschaften jeweils so genannt, wie sie im heutigen (meist französischen) Sprachgebrauch bekannt sind. Damals wurde meist die lateinische Namensform benutzt, z.B. Silvanectis für Senlis, Andegavum für Anjou etc.
    Obwohl in Quellen des 9. Jahrhunderts Balduin nie als »Graf von Flandern« bezeichnet wird, sondern sich dieser
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