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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme
Autoren: Julia Krohn
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dankbar hin. Die ob der Feuchtigkeit ständig schmerzenden Gelenke ebenso. Und der Anblick jener grauenhaften Pfalz in Brügge, die großteils verfallen und ansonsten verschimmelt und raucherfüllt war, deuchte sie nur als weiterer Teil ihrer gerechten Strafe. Nun gut, sie war nicht die Einzige, die darunter zu leiden hatte – auch Judith stießdamals ein seltenes Seufzen aus. Aber bei Judith war das fortan harte, nicht selten entbehrungsreiche und stets vom Feind bedrohte Leben Preis für ihr Glück. Und für sie, Johanna, war’s Sühne.
    Indessen Monat um Monat verging und Judiths Leib sich wölbte, war Balduin fast immer unterwegs. Er ritt von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und an der Küste zwischen Brügge und dem Fluss Ijzer vorbei, um die Verteidigungsanlage seines Reichs auszubauen, den Bau einer Flotte zu überwachen und ein System von Wachtürmen entlang der See zu errichten – unterstützt von den Stadtherren aus Waas, Thérouanne, Aardenburg und Mempisc.
    Obwohl er von seinen Pflichten aufgerieben wurde, nutzte er jede Gelegenheit, um zu Judith zurückzukehren. Wenn Johanna sie beobachtete – meist aus der Ferne, um keinen Schatten auf sie zu werfen –, stellte sie zufrieden fest, dass das alte Zerwürfnis endgültig beigelegt schien und ihre Schandtaten das Leben des jungen Paares nicht beeinträchtigt hatten. Erst mit dem heutigen Tag ging ihr auf, dass das Glück der beiden ebenso trügerisch war wie die eigene Hoffnung, die beiden mögen nicht Opfer des rachsüchtigen Gottes werden.
    Als sie zurück in die Kammer der Gebärenden trat – die Luft war schwer vom Blutdunst –, ahnte sie, dass dieser rachsüchtige Gott mit aller Härte zuschlug. Beinahe entglitt ihr der Becher mit dem Kräutersud, als ihr Blick auf Judith fiel. In der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit waren aus deren Augen leere Löcher geworden, die bleichen Wangen waren eingefallen und die heiseren, zerhackten Laute, die ihr über die wundgebissenen Lippen traten, schienen nicht mehr von ihr zu kommen, sondern von einem fremden Geist, der sich ihrer bemächtigt hatte. Die Blutlache hatte sich über das halbe Bett ausgebreitet und sickerte immer tiefer, indessen die Wehen nachließen. Mochte dies für kurze Zeit auch Schonung verheißen, war es in Wahrheit doch ein Todesurteil für die Mutter und das Kindlein, das in der Höhle ihres Leibes zu ersticken drohte.
    »Gütiger Himmel!«, stieß Johanna hervor.
    »Kannst du … kannst du denn gar nichts tun?«, fragte eine von Judiths Frauen mit angstgeweiteten Augen. »O heilige Dorothea! Heilige Margarethe! Steht der armen Königin bei!«
    Eine andere blickte viel kühler, abschätzender auf die Herrin und schlug dann hastig ein Kreuzzeichen über ihre Brust. »Es hat keinen Sinn, die Heiligen anzurufen, wenn der Allmächtige sie doch straft …«
    »Was für ein Unsinn!«, entfuhr es Johanna. »Für was soll er Königin Judith denn strafen?«
    Er will doch mich treffen, setzte sie im Stillen hinzu, mich allein …
    »Dafür, dass sie sich gegen ihren Vater, den König, aufgelehnt hat«, erklärte die andere ernsthaft.
    Johanna fühlte sich zu erschöpft, um ihr mit schnippischen Worten zu widersprechen. Beißend stieg ihr der Blutgeruch in die Nase, als sie zu Judiths Bett trat. Sie zögerte, deren Hand zu ergreifen, tat es erst, als sie sah, wie in den toten Blick etwas Leben zurückkehrte.
    »Johanna …«, stammelte sie, und dann setzte sie entkräftet hinzu: »Balduin …«
    Offenbar wollte sie mehr sagen, aber konnte es nicht. Johanna begriff es ohnehin – dass Judith mit dem Schlimmsten rechnete und ihr Balduins Wohl anvertraute, im Wissen, dass es keinen andern Menschen gab außer ihr, der ihm Trost spenden konnte.
    Anstelle von Trauer überkam Johanna eine Woge der Wut. Wie konnte es sein, dass die Geburt derart schwierig verlief! Das Kind lag richtig, sie hatte es mehrfach überprüft! Judith hatte ihre Schwangerschaft doch gut überstanden, ohne quälende übelkeit, ohne Erschöpfung!
    »Judith«, sagte sie da laut und fest. »Judith! Du bist eine starke Frau! Gib nicht auf!«
    Sie wusste nicht, ob ihre Worte die andere erreichten. Die Wehen kehrten zurück, unbarmherziger als zuvor, aber immerhin als Hoffnungsschimmer, dass es nun weiter und irgendwann zu Ende ging.
    »Hör mir zu«, sprach Johanna auf eine der Frauen ein. »Du stützt ihren Kopf und ihre Schultern. Und du …«, sie wandte sich der anderen zu, »du schmierst ihre Scham mit Schweinefett ein, damit sie
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