Das Geständnis der Amme
tun«, hauchte sie fast tonlos, »wir müssen unbedingt etwas tun.«
Johanna stützte sich mit den Händen ab, um aufstehen zu können. Sie hasste es, dass ihr Körper nicht mehr behände war wie einst – vor allem, wenn dieser Körper bei seinen mühseligen Regungen auch noch beobachtet wurde. Freilich war der Blick der anderen derart verschlossen, dass ohnehin nichts in ihn zu dringen schien.
»Was redest du da, Madalgis?«, fragte Johanna. »Was müssen wir tun?«
»Ich habe sie gesehen … Judith und Balduin. Vorhin im Hof, nach der Jagd. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat. Aber … aber sie hat ihm vergeben. Sie hat ihn sogar angelächelt, weich und offen. So hat sie das früher nie getan, und als er etwas zu ihr sagte, hat sie gelacht. Judith lacht nicht, nicht auf diese Weise. Er muss sie verhext haben! Und dann … dann haben sie sich verstohlen die Hände gereicht.«
Obwohl ihre Stimme über ein Wispern nicht hinausging, fühlte Johanna die Macht der Enttäuschung und der Missgunst, die Madalgis’ Worte begleitete.
»Ach Madalgis«, sagte sie schließlich seufzend. »Die Geschicke der beiden sind unlösbar miteinander verknüpft. Es ist gut, wenn sie einander endlich glücklich machen können. Oder es zumindest versuchen. Ich habe …«
»Das sagst ausgerechnet du?«, unterbrach Madalgis sie zischend.
»Ich habe lange gebraucht, um es einzusehen«, gab Johanna zu. »Aber Madalgis … Was soll ich sagen: Judith ist die Frau, die zu Balduin gehört, und Balduin wiederum ist ihr Mann. Stör ihren Frieden nicht, Madalgis. Lass es dabei bewenden.«
Madalgis’ gelbliche Augen blieben starr. Johanna war nicht sicher, ob ihre Worte sie erreicht hatten, denn weder antwortete ihre Miene darauf, noch sagte sie etwas. Johanna reute es, dass sie Rotrude nicht ins Badehaus gefolgt war.
»Madalgis …«, setzte sie zögernd an.
»Nein!«, brach es da plötzlich aus der jungen Frau heraus. »Nein! Er hat sie nicht verdient! Nicht Balduin! Keine Frau hat er verdient, aber am allerwenigsten Judith. Sie hat mich gerettet, nachdem er …«
»Madalgis!« Ohne es zu bedenken, war Johanna auf sie zugetreten, hatte sie energisch an den Schultern gepackt, drückte sie nun – und gewahrte, wie Madalgis trotz vermeintlicher Starre innerlich bebte. »Madalgis, du musst die Vergangenheit endlich ruhen lassen! Du musst vergeben … Balduin vergeben! Er wollte dir doch nie etwas Schlechtes … Er war einfach jung und … und er wusste auch nichts von dem Kind …«
»Du hast mir diesen grässlichen Sud gegeben, du böse alte Vettel!«, schimpfte Madalgis heiser. »Du hast mich gezwungen, es abzutreiben, obwohl das eine Todsünde ist.«
»Ich habe dich nicht gezwungen, ich habe nur …«
»Du hast mein Kind auf dem Gewissen! Und du hast auch dafür gesorgt, dass Balduin sein Herz nicht an mich verlieren konnte! Du hast ihm andere Frauen zugeführt!«
»Ich dachte …«
»Du dachtest, er würde dir gehören, dir allein! Und nun plötzliehwillst du ihn mit Judith teilen, ausgerechnet mit ihr? Mir hast du ihn abspenstig gemacht – damit sie ihn haben soll? Nein, Johanna, nein, das werde ich nicht dulden!«
Sie versuchte, Johannas Griff abzuschütteln, und ihre Bewegungen wurden so widerborstig, dass Johanna sie schließlich losließ. Unsicher blickte sie sich um. Gleichwohl sie allein im Garten standen, war sie nicht sicher, ob nicht irgendjemand das aufgebrachte Mädchen hören konnte.
»Madalgis, hör mir zu …«
»Nein, du hörst mir zu! Ich lasse mich nicht in den Staub treten. Ich lasse mich nicht behandeln, als gäbe es mich nicht. Und ich werde nicht zusehen, wie Balduin Judith unglücklich macht. Sie soll allein leben, ganz allein, nur in Gesellschaft von Frauen. Oh, Frauen sind die besseren Menschen, ich weiß es genau. Niemals können sie so grausam sein wie Männer. Sie schänden nicht, sie quälen nicht, sie …«
»Madalgis, komm zu Sinnen!«
»Du wirst mir dabei helfen, Johanna! Du hast immer danach getrachtet, sie auseinanderzubringen, und mehr als einmal ist es dir fast gelungen. Du wirst hier und jetzt mit mir einen Plan entwerfen, um sie zu entzweien.«
Johanna seufzte. Das Gekeife des Mädchens setzte ihr zu, machte sie müde, unendlich müde. Sie schmeckte deren Verbitterung, sie war ihr vertraut, aber sie wollte nicht wieder davon kosten. Sie wollte nicht sämtlichen Bodensatz aufwirbeln lassen, der nun endlich, nach so vielen Jahren, auf den Grund ihrer Seele gesunken war und dort
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