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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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Verstand entrissen?
    Schließlich wurde es ganz still in ihm, so still wie nie zuvor.
    »Ich bin gestorben«, sagte er.
    »Damit du neu geboren wirst«, erwiderte Tschuang Tse.
    »Ich habe mich verloren.«
    »Damit du dich findest.«
    »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«
    »Damit du erkennst, wer du sein sollst.«

KEIN STAUB FÄLLT AUF DAS TAO

    Min Teng wurde bewußt, daß er am ganzen Körper zitterte. Wie aus weiter Ferne hörte er Tschuang Tses leise Stimme: »Setz dich zu mir!«
    Willenlos folgte er der Aufforderung, ließ sich auf dem Sitzkissen nieder und griff zu der Wasserschale, die Tschuang Tse ihm reichte.
    »Da das Tao überall ist, ist es auch in diesem Wasser. Wenn du das Wasser trinkst, nimmst du auch das Tao in dich auf. Trinke es so, als hättest du noch nie Wasser getrunken! Tue alles so, als tätest du es zum ersten Mal! Das Leben besteht zu einem großen Teil aus sich täglich wiederholenden Handlungen, und mit jeder Wiederholung legt sich eine dünne Staubschicht auf die Dinge. Mit den Jahren wird sie immer dicker, bis die Dinge unter ihr verschwinden. So sieht man schließlich alles, ohne es noch zu sehen. So fühlt man alles, ohne es noch
zu fühlen. So erlebt man alles, ohne es noch zu erleben. Wer verhindern will, daß der Staub der Gewohnheit alle Dinge seines Lebens überdeckt, muß diese Dinge so sehen, fühlen und erleben, als sähe, fühlte und erlebte er sie zum ersten Mal. So bleibt er in Verbindung zum Tao, denn kein Staub fällt auf das Tao.«
    Min Teng nahm die Schale entgegen, und als er das Wasser trank, war ihm tatsächlich so, als hätte er noch nie etwas so Klares und Frisches getrunken. Min Tengs Zittern legte sich, als hätte das Wasser eine beruhigende Kraft in seinen Körper geleitet. Verwundert stellte er die Schale auf den Tisch zurück.
    Er fühlte sich wie ein Wanderer, der nicht nur vom Weg abgekommen war, sondern auch das Ziel seiner Wanderung vergessen hatte. Etwas war mit ihm geschehen, das nie hätte geschehen dürfen. Und doch war es gut, daß es geschehen war.
    »Wohin soll ich nun gehen?« fragte er.
    Tschuang Tse lächelte. »Gehe immer dorthin, wohin das Tao dich führt! Heute hat es dich zu mir geführt und sich dabei des Schurken Yan bedient. Das Tao ist nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel, wenn es einem Menschen helfen will, gewisse Dinge zu erkennen.«
    »Ich erkenne«, sagte Min Teng, »daß ich nicht mehr dorthin gehen kann, woher ich gekommen bin, und zwar in jeder Hinsicht.«
    »Damit erkennst du schon viel. Die meisten Menschen gehen in so mancher Hinsicht immer wieder dorthin, woher sie gekommen sind, obwohl im Leben kein
einziger Weg zurückführt. Sie gehen einen Weg, der keiner ist, weil sie in großer Verwirrung leben. Ihre Verstörtheit wird von Herrschern wie Prinz Yan ausgenutzt, die selbst in großer Verwirrung leben und Freude daran haben, andere Menschen zu unterdrücken. Die Macht der Herrscher gibt ihnen ein Gefühl der Überlegenheit, das ihnen als Rauschmittel dient, mit dem sie ihre eigene Verworrenheit besser ertragen können. Doch die Könige und Knechte sitzen in einem Boot. Die nüchternen Knechte rudern, die berauschten Könige lassen sich rudern, doch alle sitzen sie im Boot der Wirrnis, das sich auf den Wellen der Zeit endlos im Kreis bewegt.«
    »Wohin bewegst du dich, Tschuang Tse?«
    »Der Mensch des Tao sitzt nicht im Boot der Wirrnis. Er ist weder König noch Knecht, er lebt in heiterem Einklang mit den ewigen Gesetzen der Natur. Er betreibt seine Geschäfte ohne Eifer, sucht nicht den Nutzen und fürchtet nicht den Schaden. Er sammelt keine irdischen Güter, meidet den Ruhm, ist im Leben ohne Rang und im Tod ohne Titel. Alles Streben macht ihm keine Freude. Er redet, ohne zu reden. Er vergißt die Zeit und die Meinungen, erhebt sich ins Grenzenlose und wohnt im Unendlichen. Er geht jenseits vom Staub und Schmutz dieser Welt.«
    »Ich bin kein Mensch des Tao, Tschuang Tse. Wohin soll ich gehen im Staub und Schmutz dieser Welt? Wenn ich zu Prinz Yan reite und ihm gestehe, daß ich dich nicht töten konnte, wird er mich auf der Stelle hinrichten lassen und einen anderen Mann ausschicken, der
nicht zögern wird, dich umzubringen. Ich kann nie mehr zum Palast zurückkehren.«
    »Sei froh darüber, Min Teng! Wer zu lange einem Schurken dient, wird selbst zum Schurken.«
    »Ich kann aber auch nicht hierbleiben, denn wenn ich bis morgen abend nicht zu Yans Palast zurückkehre, wird er Krieger ausschicken, um in
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