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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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Erfahrung zu bringen, was mit mir geschehen ist. Wenn sie mich bei dir vorfinden, werden sie uns beide töten. Was hast du eigentlich getan, um Yans Zorn auf dich zu ziehen? Daß du das Volk in geistige Verwirrung stürzen könntest, scheint mir nicht Grund genug zu sein, dein Leben zu beenden.«
    »Auf einer Wanderung, die ich kürzlich unternahm, habe ich in einem Wirtshaus mit einem Freund über Yan geredet, wohl nicht leise genug. Ich nannte Yan einen grausamen Tyrannen, der vor Heimtücke, Bosheit und Eitelkeit nahezu platzt und eine elende Plage für die Menschen ist. Womöglich hat einer seiner zahllosen Spitzel meine Worte gehört und an den Prinzen weitergeleitet. Dies könnte der Grund dafür sein, daß er dich zu mir geschickt hat. Er fürchtet wohl, daß ich einen Einfluß auf die Menschen ausübe, der seiner Macht über sie abträglich ist. Seine Furcht ist nicht ganz unberechtigt, aber maßlos übertrieben. Es werden für jeden Herrscher immer genügend Menschen da sein, die sich beherrschen lassen, was immer ich oder andere auch tun und sagen mögen. Die gewöhnlichen Menschen folgen lieber den von Menschenhand gemachten, in ständiger Veränderung begriffenen Gesetzen, als den ewigen und
unveränderlichen Geboten der Natur. Wenn ein Herrscher ein Gesetz erläßt, das den Menschen vorschreibt, beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, werden sie es befolgen. Und wenn der Nachfolger dieses Herrschers ein Gesetz erläßt, das den Menschen verbietet, beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, werden sie es ebenso befolgen. Von mächtigen Wirrköpfen regierte, machtlose Wirrköpfe waren, sind und bleiben die Menschen Figuren in dem haarsträubenden Spiel, das man Geschichte nennt.«
    »Und wie geht unsere Geschichte weiter, Tschuang Tse?«
    »Wir werden vor Yans Häschern flüchten, entweder getrennt voneinander oder gemeinsam.«
    »Ich würde dich gern auf deiner Flucht begleiten, Tschuang Tse!«
    »Warum?«
    »Ich möchte dein Schüler sein.«
    »Ich will kein Meister sein, weder für dich noch für andere! Würde ich jemanden als Schüler annehmen, kämen bald mehr, die meine Schüler sein wollen, und schließlich wäre ich ständig von Menschen umringt, die an meinen Lippen hängen und mir Löcher in den Bauch fragen. Und weil jeder von ihnen meine Worte anders verstehen würde, entstände ein fortwährendes Plappern und Streiten und Besserwissen um mich herum, und mein Frieden und meine Freiheit wären dahin. Einem Menschen, der nach Einfluß und Anerkennung strebt, könnte dies gefallen, aber ich unterlasse alles, was mir
Ehre, Geltung und Ruhm einbringen könnte. Ich ziehe ein sorgloses, müßiges Leben vor, denn es ist die Quelle aller Weisheit.«
    »Als dein Schüler würde ich dir keine Löcher in den Bauch fragen, deinen Frieden und deine Freiheit achten und dich nicht in deiner Muße stören.«
    »Das will ich dir gern glauben. Du wärst vielleicht ein guter Schüler, aber ich wäre sicherlich ein schlechter Meister, denn es gibt so vieles, das ich nicht weiß. Ein guter Meister hat auf jede Frage eine Antwort. Damit könnte ich nicht dienen. Ich weiß nicht einmal, ob ich das, was ich zu wissen glaube, wirklich weiß«, sagte Tschuang Tse mit einem schelmischen Lächeln, so daß Min Teng nicht einschätzen konnte, wie ernst seine letzten Worte zu nehmen waren. Aber er wagte es nicht, in dieser Hinsicht um Klarheit zu bitten, da er eben noch versprochen hatte, Tschuang Tse nicht mit Fragen zu belästigen.
    »Vor Tausenden von Jahren, als alle Menschen noch im Tao lebten, gab es keine Meister und keine Schüler«, sagte Tschuang Tse. »Es gab nur Menschen, die den ewigen Gesetzen der Natur folgten und ihr Leben in heiterem Einklang mit dem höchsten Sinn genossen. Sie waren rechtschaffen und gerecht, ohne zu wissen, daß sie es waren. Sie liebten einander, ohne zu wissen, was Liebe ist. Sie waren wahrhaft und treu, ohne eine Vorstellung von Wahrhaftigkeit und Treue zu haben. Es war für sie selbstverständlich, einander zu helfen und beizustehen, ohne dies als besondere Güte zu empfinden. Doch heute
finden nur noch die wenigsten Menschen und das Tao zueinander. Sie pflegen und steigern ihre Verwirrung, anstatt Klarheit zu suchen. Sie stellen sich taub, wenn die Hand des Tao an ihre Tür klopft. Sie schließen die Augen, wenn das Licht des Tao vor ihnen aufleuchtet. Sie meiden den Blick in den Urgrund, der ihr Leben erschaffen hat und erhält. Darin gleichen sie Kindern, die ihre Eltern
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