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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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verleugnen.«
    »Hatten die Menschen des Tao keinen Verstand?« fragte Min Teng.
    »Aber sicher hatten sie Verstand! Sie haben sich seiner bedient, wenn es ihnen nötig erschien, aber sie haben sich nicht von ihm beherrschen lassen. Er war für sie nur eine Kerzenflamme im Sonnenschein, nichts Besonderes. Sie wußten nicht einmal um seine Gefährlichkeit. Sie haben ihm einfach nur wenig Bedeutung gegeben.«
    »Wenn du mich nicht als Schüler annehmen willst, dann laß mich dich als dein Leibwächter begleiten! Bestimmt kann ich dir auf der Flucht hilfreich sein. Ich besitze ein Pferd, das ich im Kiefernwald vor dem Dorf angebunden habe, bevor ich mich zu deinem Haus schlich. Dort habe ich auch in einem Gebüsch mein Schwert und meine Armbrust versteckt, mit denen ich dein Leben verteidigen kann, wenn es bedroht werden sollte.«
    Tschuang Tse schmunzelte. »Eben noch wolltest du mein Leben zerstören, und nun willst du es verteidigen. Ist das nicht sonderbar?«
    »Ja, das ist es.«
    »Ich will nicht, daß du dein Leben für meines aufs
Spiel setzt! Aber ich habe nichts dagegen, daß du mich begleitest. Unsere Lebenswege haben sich heute gekreuzt und miteinander verbunden. Die nächste Strecke unseres Weges werden wir gemeinsam gehen. Sie wird uns über die Grenzen des Landes Sung führen, in das Land Wei, wo wir vor den Schergen des Fürsten Yan sicher sind. Man wird uns dort mit Achtung aufnehmen, schließlich hat der König von Wei mir vor Jahren ein Amt als Minister an seinem Hof angeboten.«
    »Wird er dir nicht zürnen, weil du sein Angebot abgelehnt hast?«
    »Selbst wenn er mir noch zürnt, wird er mir nicht nach dem Leben trachten. Ich habe einen Freund in Wei. Sein Name ist Schi Wong, und ich möchte ihn schon seit langem besuchen. Er lebt in der Stadt Gao Tscheng, nicht weit von der Grenze entfernt. Er wird uns gern helfen. Ich freue mich schon darauf, ihn wiederzusehen.«
    »Fällt es dir nicht schwer, dein Haus aufzugeben, dein Dorf zu verlassen, deine Freunde zu verlieren?«
    »Warum sollte ich mir einen Abschied schwermachen, der unumgänglich ist? Mein Haus wird einen neuen Bewohner finden, dieses Dorf ist nur ein Dorf wie jedes andere, und meine Freunde werden meine Freunde bleiben, auch wenn ich sie nie wiedersehen sollte. Und du, Min Teng, fällt es dir nicht schwer, den Palast des Fürsten Yan zu verlassen?«
    »Ich hätte nie gedacht, daß es mir so leichtfallen würde.«
    »Auf einem guten Weg ist der Mensch, der sich von
sich selbst überraschen läßt. Auf einem schlechten Weg ist der Mensch, der alles über sich zu wissen glaubt.«
    »Es wird schwierig sein, nach Wei zu gelangen«, gab Min Teng zu bedenken. »Wir leben in kriegerischen Zeiten. Die Grenze ist auf beiden Seiten von Soldaten bewacht.«
    »Kinder wachen gern, wenn sie schlafen sollen. Soldaten schlafen gern, wenn sie wachen sollen. Ich werde mich jetzt von den Menschen im Dorf verabschieden, denen ich mich verbunden fühle. Zu ihnen gehört Huang Sun, den ich leider nicht in seinem Haus antreffen werde, da er, wie du weißt, auf Hasenjagd gegangen ist. Ich will ihm einen kurzen Abschiedsbrief hinterlassen.«
    Min Teng hätte Tschuang Tse gern begleitet, um seine Freunde kennenzulernen, wagte aber nicht, ihn darum zu bitten. »Ich werde unterdessen mein Pferd und meine Waffen holen«, sagte er. »Mein Rappe kann uns beide tragen. Besser wäre es natürlich, wenn jeder von uns ein Pferd hätte.«
    »Niemand in diesem Dorf besitzt ein Pferd. Wir treffen uns wieder hier! Ich werde bald zurück sein, denn ich mag keine langen Abschiede.«
    Min Teng nickte. Gemeinsam tranken sie ihre Wasserschalen leer.
    Tschuang Tse erhob sich von seinem Kissen. »Vielleicht hast du den Entschluß, dein bisheriges Leben hinter dir zu lassen, zu schnell getroffen. Du solltest deine Entscheidung überdenken, während ich mich von meinen Freunden verabschiede. Immerhin könntest du
noch zu Fürst Yan zurückkehren und ihm berichten, daß du mich nicht mehr in diesem Dorf vorgefunden hast, weil ich mit unbekanntem Ziel verreist war. So würdest du nicht bei ihm in Ungnade fallen und könntest dein früheres Leben fortführen.«
    »Mein früheres Leben ist beendet«, erwiderte Min Teng.

DER FREUNDSCHAFTSBEWEIS

    Als Min Teng zu der kleinen Lichtung in dem dichten Kiefernwald gelangte, wo er sein Pferd an einem Baumstamm festgebunden hatte, hörte er ein leises Geräusch hinter seinem Rücken: das Knacken von brechendem Holz, wie es entsteht, wenn ein Mensch
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