Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
Vom Netzwerk:
sterben, selbst wenn der Kampf von vornherein verloren war?
    Min Teng zog seinen Dolch. Im nächsten Augenblick holte Tan Yong zum Hieb aus. Min Teng erwartete den
Tod. Doch der Tod erwartete nicht ihn, sondern Tan Yong.
    Mit ungläubigen Augen sah Min Teng, daß ein aus dem Nichts schwirrender Pfeil Tan Yongs Hals durchbohrte, der sein Schwert fallen ließ, sich mit beiden Händen an den stark blutenden Hals griff und mit vor Überraschung und Schrecken weit aufgerissenen Augen um seine Standfestigkeit kämpfte. Aus seinem Mund brach ein jämmerliches Röcheln hervor, während er wie ein Betrunkener zu schwanken begann und schließlich zu Boden stürzte.
    Huang Sun trat hinter einem Gebüsch hervor, verneigte sich vor Min Teng und sagte: »Gut, daß ich noch einen Pfeil in meinem Köcher hatte, als ich eure Stimmen hörte. Obwohl Tschuang Tse mich angelogen hat, als ich heute in sein Haus trat, sagte er die Wahrheit: Du bist sein Freund!«

ZWEITER TEIL

AUFBRUCH INS UNGEWISSE

    Nachdem Tschuang Tse und Min Teng eine Weile schweigend nebeneinander geritten waren, bemerkte Min Teng: »Du trägst ja neue Schuhe!«
    »Huang Sun hat sie mir zum Abschied geschenkt. Er sagte, für eine neue Strecke meines Lebensweges bräuchte ich neue Schuhe. Ich habe sein Geschenk angenommen, auch wenn ich es nicht übers Herz brachte, mich von meinen alten Schuhen zu trennen, mit denen ich so viele Reisen und Wanderungen unternommen habe. Deshalb habe ich sie in eine Satteltasche gesteckt und mit auf die Reise genommen. Huang Sun ist sehr großzügig. Er gab mir nicht nur diese Schuhe, er füllte
auch die Satteltaschen des prächtigen Pferdes, auf dem ich sitze, mit Wegzehrung.«
    »Ja, es ist ein herrliches Pferd, Tan Yongs Brauner. Er hat es geliebt, sofern er überhaupt etwas geliebt hat, außer dem Kampf. Seine Augen wirkten immer ein wenig matt, doch wenn er kämpfte, strahlten sie. Er war zum Soldaten geboren, und er starb wie ein Soldat. Vor meinem inneren Auge erscheint immer wieder Tan Yongs Gesicht, als Huang Suns Pfeil ihn traf. Es hatte einen Ausdruck großen Unglaubens, als könnte er nicht fassen, was mit ihm geschah. Du hast mir gesagt, das Tao gibt und nimmt allem Gestalt, es erzeugt und zerstört alle Dinge. Hat es auch Tan Yong die Gestalt genommen, hat es sein Leben zerstört? Oder war es nur ein Zufall, daß dein Freund Huang Sun zur rechten Zeit am rechten Ort war?«
    »Es gibt keine Zufälle«, sagte Tschuang Tse, »auch wenn es den Menschen so erscheint, die nicht mit dem Tao verbunden sind. Das Tao hat Huang Sun zu der Lichtung im Kiefernwald geführt, wo Tan Yong dich töten wollte, und es hat dafür gesorgt, daß er noch einen Pfeil in seinem Köcher hatte. Das Tao wollte, daß du und ich uns auf die Reise begeben, zu der wir uns entschlossen haben.«
    »Hat Huang Sun zum ersten Mal einen Menschen getötet?«
    »Nein, zum zweiten Mal. Beim ersten Mal mußte er sein eigenes Leben verteidigen. Heute hat er dein und mein Leben geschützt. Er hatte keine andere Wahl, und
deshalb wird seine Tat keine Last auf sein Gewissen legen.«
    »Hast du Huang Sun gesagt, wohin unsere Reise geht?«
    »Weder ihm noch meinen anderen Freunden. Es ist besser, wenn niemand es weiß. Wenn Prinz Yans Soldaten ins Dorf kommen und nach mir fragen, werden sie die Antwort erhalten, daß ich zu einer meiner üblichen ziellosen Wanderungen aufgebrochen bin. Sollten sie nach dir fragen, werden sie erfahren, daß niemand dich gesehen hat. Falls sie nach Tan Yong fragen, werden sie die gleiche Auskunft bekommen. Die Soldaten werden zum Palast des Prinzen zurückkehren und ihm berichten, daß du und Tan Yong nie im Dorf aufgetaucht seid und ich mit unbekanntem Ziel verreist bin. Das wird ihm Kopfzerbrechen bereiten. Was mag da geschehen sein, wird er sich fragen, aber keine Antwort finden. Das spurlose Verschwinden zweier Soldaten seiner Palastwache wird ihn nicht sonderlich berühren, aber er wird wütend sein, daß ich ihm entwischt bin.«
    »Ich habe in meiner linken Satteltasche eine glatte Kupferplatte und einen Löffel aus Magneteisen«, sagte Min Teng nach einer Weile gemeinsamen Schweigens. »Der Löffel ist so geformt, daß sein Griff stets in Richtung Süden zeigt, wenn man ihn auf die Kupferplatte legt. Wir müssen also nur in die entgegengesetzte Richtung reiten, um zur nördlichen Landesgrenze zu gelangen. Mit Hilfe dieser neuen Erfindung werden wir uns in den großen Wäldern des Grenzgebietes der Reiche Sung und Wei immer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher