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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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getötet, Min Teng! Ich sehe
es auch, wenn ich die Augen schließe und in dein Herz blicke.«
    Als Min Teng den nun mit geschlossenen Augen dasitzenden Tschuang Tse betrachtete, dachte er, daß jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei, ihm das Leben zu rauben. Doch als er den Griff des Dolches spürte, zog er seine Hand zurück, denn es war ihm, als läge auf einmal ein Schleier von weißem, leicht flimmerndem Licht über Tschuang Tses ganzem Körper. Er rieb sich seine Augen, doch noch immer sahen sie dieses nie zuvor gesehene Licht.
    »Warum willst du dich von dem Schurken Yan zu einem Mörder machen lassen?« fragte Tschuang Tse leise, ohne die Augen zu öffnen.
    »Sagst du das, um dein Leben zu retten?«
    Tschuang Tse öffnete wieder die Augen: »Ich sage es vor allem, um dein Leben zu retten! Mit der Last eines Mordes auf deinem Gewissen wirst du alles Gute und Schöne verlieren, was jetzt noch dein Leben bereichert. Du wirst das Gefühl bekommen, daß dein Leben nicht mehr lebenswert ist, aber du wirst an ihm hängen aus Angst vor dem Tod und weitere Morde für Prinz Yan verüben. Und schließlich wirst du zu einer seelenlosen Maschine, die wie ein Mensch aussieht. Als solche sollst du Prinz Yan nützlich sein bei seinem rast- und gewissenlosen Streben, seinen Herrschaftsbereich zu sichern und zu erweitern.«

EINE STÜRMISCHE NEUGEBURT

    Unvermittelt stand Min Teng auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab, von Wand zu Wand, als bräuchte er körperliche Bewegung, um sich Tschuang Tses Worten zu stellen, die ihn ergriffen hatten wie keine Worte zuvor. Und wie war das rätselhafte Licht um seinen Körper zu erklären, das inzwischen allerdings wieder verloschen war? Etwas in Min Teng ahnte die tiefe Wahrheit dessen, was Tschuang Tse zu ihm gesagt hatte, aber etwas anderes wehrte sich heftig dagegen und behauptete, daß ein Mann, der die Auskunft eines Totenschädels in seinem Traum für bare Münze nahm, nicht ernst zu nehmen war.
    Und dann gab es noch etwas anderes in ihm, das sich weder auf die Seite seiner Ergriffenheit noch auf die Seite seiner Zweifel stellte. Es stand über beiden Seiten
und beobachtete sie mit ebenso wachen wie gelassenen Augen. Im Gegensatz zu den beiden Seiten, die ein gemeinsames Ziel hatten, nämlich die Überwältigung der anderen Seite, besaß es keinen erkennbaren Willen. Es genügte ihm, einfach dazusein. Dieses geheimnisvolle Dritte, das Min Teng noch nie an sich erlebt hatte, strahlte große Ruhe aus, im Gegensatz zu seiner Ergriffenheit und seinen Zweifeln, die vor Erregung bebten. Während Min Teng wie ein gefangenes Tier in seinem Käfig auf und ab lief, hatte er das Gefühl, daß etwas in seinem Innersten auch in einem Käfig auf und ab lief, weil seine Sehnsucht nach Freiheit mit einem Schlag erwacht war.
    »Ich habe Prinz Yan viel zu verdanken«, sagte Min Teng. »Schon mein Vater stand als Leutnant in seinen Diensten. Er kam vor drei Jahren bei der Niederschlagung eines Aufstandes ums Leben. In ihrer Verzweiflung darüber erkrankte meine Mutter schwer und starb bald darauf. Nach dem Tod meiner Eltern erschien mir mein Leben sinnlos, ich versank in tiefe Schwermut, die mir mehr und mehr das Leben aus dem Körper saugte. Hauptmann Feng, ein entfernter Verwandter meines Vaters, erfuhr von meinem Schicksal und ließ mich zu Prinz Yan bringen, der mich auf Fengs Empfehlung in seine Palastwache aufnahm und meinem Leben einen neuen Sinn schenkte. So half Prinz Yan mir, meine Trauer über den Tod meiner Eltern zu überwinden.«
    »Ich glaube nicht, daß dies seine Absicht war.«
    »Wie meinst du das?«

    »Er hat dich nicht in seine Palastwache aufgenommen, um dir zu helfen, deine Trauer zu überwinden, sondern weil du ein kräftiger Bursche und guter Kämpfer bist, von dem er sich wirksamen Schutz verspricht. Wärst du ein schwacher, schmächtiger Mann, hätte er dich wieder nach Hause geschickt.«
    »Das mag sein. Mein Vater hatte schon in meiner Kindheit angefangen, mich in einer geheimen Kampfkunst zu unterrichten.«
    »Und nun bist du einer von Prinz Yans Palastwächtern! Das heißt, daß du dein Leben opfern würdest, um das Leben eines Schurken zu verteidigen. Könnte es sein, daß dein Leben vielleicht einem etwas höheren Sinn dienen sollte?«
    Min Teng blieb auf der Stelle stehen, als hätte Tschuang Tses Frage seine Unruhe mit einem Schlag überwältigt, und blickte aus dem Fenster auf den verwilderten Garten, hinter dem sich die sanften grünen Hügel erstreckten,
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