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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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Das Tao erklärt sich selbst, Min Teng, wenn wir eins mit ihm sind. Wenn wir im Nichtstun aufgehen, in
absichtsloser Stille, im Erleben von Gleichklang und Ruhe, wenn wir das Gefühl für die Zeit verlieren und uns in der Grenzenlosigkeit des Augenblicks treiben lassen wie Wolken am Himmel, können wir das Tao erleben und es im Erleben verstehen. Dann erkennen wir, daß die Kraft, die Welken und Vergehen bewirkt, selbst niemals welkt und vergeht. Dann begreifen wir, daß die Kraft, die den ewigen Wandel in der Welt bewirkt, sich selbst niemals wandelt.«
    »Das Tao ist also unsterblich?«
    »Ja, es war schon immer und wird immer sein. Es ist von ewiger Wirklichkeit und von unermeßlicher Kraft, doch es handelt niemals. Allem gibt und nimmt es Gestalt, doch es selbst ist gestaltlos. Alles ist von ihm abhängig, aber das Tao ruht unabhängig von allem in sich selbst. Es erzeugt und zerstört alle Dinge, wird selbst jedoch nie geboren, und keine Macht der Welt und des Himmels kann es vernichten.«
    »Wenn das Tao niemals handelt, wie kann es dann allem Gestalt verleihen und entziehen, wie kann es Dinge erzeugen und zerstören?«
    »Widersinnig klingt der Sinn im Zusammenspiel mit der Sprache. Widersinnig erscheint das Tao im Zusammenspiel mit dem Verstand, aus dem die Sprache hervorgeht. Das Tao selbst ist ohne Widerspruch, es trägt alle scheinbaren Gegensätze in sich, es umfaßt Hitze und Kälte, Höhe und Tiefe, es vereint Freude und Leid, Armut und Reichtum. Was dem Verstand als widersprüchlich erscheint, ist in Wahrheit eine vollkommene Einheit.
Was ihm als widersinnig erscheint, ist in Wahrheit das Wesen des Sinns. Doch eher fliegt ein Ochse durch die Lüfte, als daß der Verstand das Tao versteht.«
    »Wo ist das Tao zu finden?«
    »Überall ist es zu finden, denn es durchdringt alles, jeden Menschen, jedes Tier, jede Pflanze, jeden Gegenstand. Es ist der Atem allen Lebens, und wie der Atem ist es unsichtbar. Selbst wenn wir eins mit ihm sind, können wir sein innerstes Geheimnis nicht ergründen. Alles Leben braucht das Tao, um bestehen zu können, doch das Tao besteht unabhängig von allem Leben.«
    »Und du hast das Tao gefunden, Tschuang Tse?«
    »Wir haben einander gefunden. Ich habe es gefunden, weil ich bereit war, es zu finden. Und es hat mich gefunden, weil ich bereit war, mich finden zu lassen. Dadurch habe ich mich auch selbst gefunden, denn das Tao ist mein wahres Selbst. Wer das Tao nicht kennt, kennt sich selbst nicht. Er geht durch sein Leben und durch diese Welt, ohne zu wissen, wer er ist. Und weil er nicht weiß, wer er ist, weiß er auch nicht, was er tut. Da die gewöhnlichen Menschen das Tao nicht kennen, ist ihr Leben von großer Verwirrung gekennzeichnet. Und weil sie die Seelenruhe nicht haben, die nur das Tao ihnen geben kann, treibt ihre Unruhe sie zu Handlungen an, die ihre Verstörtheit noch vergrößern. Betrachte nur Prinz Yan! Er hat dich zu mir geschickt, um mich zu töten, weil ich angeblich Verwirrung stifte, obwohl ich jenseits der allgemeinen Verwirrung lebe. Ist das nicht lustig?«

    Tschuang Tse lachte.
    »Stimmt es«, fragte Min Teng, »daß der König von Wei einmal zwei Boten mit Geschenken zu dir geschickt hat, um dich dazu zu bewegen, als Minister an seinen Hof zu kommen?«
    »Ja, aber diesen Versuch hätte er sich sparen können. Ich habe ihm ausrichten lassen, ich wolle lieber als kleines Kälbchen im Hinterhof leben, als zum Tempelochsen zu werden, den man füttert und ziert, um ihn dann zu opfern. Tausend Goldstücke sind ein großer Gewinn, und die Stellung eines königlichen Ministers genießt höchstes Ansehen, aber meine Freiheit gebe ich für kein Gold und Ansehen der Welt her. Besser ein sorgloser Habenichts als ein von Sorgen geplagter, in häßliche Intrigenspiele verstrickter Minister. Die Staatsführung ist eine so große Schlammgrube, daß alle Schweine der Welt sie nicht auffüllen könnten. Wer sich dort hineinbegibt, lebt in einem Dreck, der durch seine Hautporen in sein Inneres dringt, bis er das Herz und die Seele erreicht und verdreckt. Wenn du Augen hättest, Min Teng, würdest du den Schmutz in dem Herzen und der Seele des Prinzen von Sung sehen, der dich zu mir geschickt hat, um dich in seinen Dreck zu reißen, um das Blut auf deine Hände zu ziehen, das an seinen schon unauslöschlich klebt.«
    »Wie kannst du wissen, daß noch kein Blut an meinen Händen klebt?«
    »Ich sehe es, wenn ich in deine Augen blicke. Du hast noch nie einen Menschen
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