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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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durchdringendem Geschrei die Neugierigen
zusammen. Außerdem zog er mit dem Schnabel aus einer
Schachtel Zettelchen, die jeder kaufen konnte, der Auskunft
über sein künftiges Schicksal wünschte. Die rosaroten, grünen
und blauen Botschaften waren so klug abgefaßt, daß sie immer
die geheimsten Wünsche der Kunden trafen. Außer den
Schicksalslosen verkaufte Marcos auch Sägemehlkugeln als
Kinderspielzeug und Pülverchen gegen Impotenz, über die er
halblaut mit den von diesem Übel heimgesuchten Passanten
verhandelte. Die Idee mit der Drehorgel war sein letzter,
verzweifelter Versuch, die Cousine Antonieta zu erweichen,
nachdem ihm andere, konventionellere Formen der Werbung
fehlgeschlagen waren. Keine Frau mit gesundem
Menschenverstand, dachte er, könnte einer Drehorgel gegenüber
gleichgültig bleiben, und so schritt er denn zur Tat. Eines
Abends stellte er sich unter ihr Fenster, als sie gerade mit ein
paar Freundinnen Tee trank, und spielte seinen Militärmarsch
und seinen Walzer. Antonieta tat, als ginge sie das nichts an.
Erst als der Papagei schnarrend ihren Namen zu rufen begann,
sah sie aus dem Fenster. Ihre Reaktion war nicht die von ihrem
Galan erhoffte. Ihre Freundinnen sorgten dafür, daß sich die
Neuigkeit in allen Salons der Stadt verbreitete, und am nächsten
Tag spazierten alle Leute durch die Innenstadt, in der Hoffnung,
mit eigenen Augen den Schwager Severo del Valles mit einem
zerrupften Papagei auf der Schulter Drehorgel spielen und den
Kindern Sägemehlkugeln verkaufen zu sehen, aus schierer
Freude an der Feststellung, daß es selbst in den besten Familien
Grund gab, sich zu schämen. Angesichts seiner empörten
Familie mußte Marcos seine Drehorgel aufgeben und sich
weniger ausgefallene Methoden ausdenken, um die Zuneigung
seiner Cousine zu gewinnen. Er gab die Belagerung nicht auf,
hatte zuletzt aber doch keinen Erfolg, denn das junge Mädchen
heiratete von einem Tag auf den ändern einen zwanzig Jahre
älteren Diplomaten und zog mit ihm in ein tropisches Land,
dessen Namen niemand behalten konnte, der aber nach
schwarzen Völkern und Palmen klang, um dort die Erinnerung
an diesen Bewerber zu verwinden, der mit seinem Militärmarsch
und seinem Walzer ihre siebzehn Jahre ruiniert hatte. Marcos
fiel für zwei oder drei Tage in Trübsinn, dann erklärte er, daß er
niemals heiraten werde, er werde eine Reise um die Welt
antreten. Er verkaufte die Drehorgel einem Blinden, und den
Papagei vererbte er Clara, aber die Nana vergiftete ihn heimlich
mit einer Überdosis Lebertran, weil sie seinen lüsternen Blick,
seine Läuse und das Gekreisch, mit dem er Glückslose,
Sägemehlkugeln und Pülverchen gegen Impotenz anpries, nicht
länger ertragen konnte.
    Diese war Marcos’ längste Reise gewesen. Er kehrte mit einer
Fracht riesiger Kisten zurück, die im hintersten Patio zwischen
dem Hühnerstall und der Holzlege gestapelt wurden, bis der
Winter vorbei war. Sobald das Frühjahr anbrach, ließ er sie in
den Parque de los Desfiles fahren, ein großes freies Gelände, auf
dem sich am Nationalfeiertag die Leute versammelten, um das
Militär vorüberziehen zu sehen, im Stechschritt, den es von den
Preußen übernommen hatte. Als die Kisten geöffnet wurden, sah
man, daß sie Einzelteile aus Holz, Metall und gefärbter
Leinwand enthielten. Zwei Wochen lang war Marcos damit
beschäftigt, nach den englisch geschriebenen Anweisungen
eines Handbuchs, die er mit seiner unbesiegbaren Phantasie und
mit Hilfe eines Lexikons enträtselte, die Teile
zusammenzusetzen. Das fertige Werk erwies sich als ein Vogel
von prähistorischen Ausmaßen, mit dem vorn aufgemalten Kopf
eines wütenden Adlers, beweglichen Flügeln und einem
Propeller auf dem Rücken. Es war aufregend. Die Familien der
Oligarchie vergaßen die Drehorgel, Marcos wurde die Novität
der Saison. Sonntags machten die Leute lange Spaziergänge, um
den Vogel zu besichtigen, ambulante Verkäufer und Fotografen
hatten Hochkonjunktur. Doch bald erlahmte das Interesse des
Publikums. Da kündigte Marcos an, sobald das Wetter aufklare,
werde er in diesem Vogel aufsteigen und mit ihm die
Kordilleren überqueren. Die Nachricht verbreitete sich binnen
Stunden und wurde zur meistkommentierten Sensation des
Jahres. Die Maschine, die mit dem Bauch auf festem Land lag,
glich mehr einer verwundeten Ente als einem jener modernen
Fluggeräte, die seit neuestem in Nordamerika hergestellt
wurden. Nichts an ihrer
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