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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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Kette von Ereignissen, die eintreffen mußten. Später wiederholte
der Enkel der vergewaltigten Frau die Tat an der Enkelin des
Vergewaltigers, und vielleicht wird in vierzig Jahren mein Enkel
Esteban Garcías Enkelin in die Sträucher am Fluß zerren, und so
fort in künftigen Jahrhunderten, in einer endlosen Geschichte
von Schmerz, Blut und Liebe. Im Hundestall hatte ich die
Vorstellung, ein
Puzzle aufzubauen, in welchem jedes Teil
seinen genauen Platz haben würde. Solange ich nicht alle
untergebracht hatte, schien es mir unbegreiflich, aber ich war
sicher, daß, wenn es mir gelänge, es fertigzustellen, jedes Teil
seinen Sinn erhalten und das Ergebnis harmonisch sein würde.
Jedes Teil hat, so wie es ist, seine Daseinsberechtigung, selbst
Oberst Garcia. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich das alles
erlebt und diese Worte schon einmal geschrieben habe, aber ich
begreife, daß nicht ich es bin, sondern eine andere Frau, die in
ihre Hefte geschrieben hat, damit ich mich ihrer bedienen könne.
Ich schreibe, sie schrieb, daß das Gedächtnis schwach und der
Lauf eines Lebens kurz ist und alles so rasch geschieht, daß wir
den Zusammenhang zwischen den Ereignissen nicht mehr
sehen, die Folgen der Tat nicht mehr ermessen können, wir
glauben an die Fiktion der Zeit, an Gegenwart, Vergangenheit
und Zukunft, aber es kann auch sein, daß alles gleichzeitig
geschieht, wie die drei Schwestern
Mora sagten, die fähig
waren, im Raum die Geister aller Epochen zu sehen. Deshalb
schrieb meine Großmutter Clara ihre Hefte voll: sie wollte die
Dinge in ihrer wirklichen Dimension sehen und das schlechte
Gedächtnis austricksen. Und jetzt suche ich nach meinem Haß
und kann ihn nicht finden. Ich fühle, daß er in dem Maße
erlischt, in welchem ich meinen Großvater verstehe und ich
durch die Hefte von Clara, die Briefe meiner Mutter, die
Verwaltungsbücher der Drei Marien und so viele andere
Dokumente, die jetzt in meiner Reichweite auf dem Tisch
liegen, erfahre, wie alles gekommen ist. Es wird mir schwer
werden, alle zu rächen, die gerächt werden müssen, weil meine
Rache ein weiterer Teil des einen, unerbittlichen Ritus sein
würde. Ich will denken, daß mein Amt das Leben ist und meine
Aufgabe nicht darin besteht, den Haß fortzusetzen, sondern nur,
diese Seiten zu füllen, während ich auf die Rückkehr Miguels
warte, während ich meinen Großvater zu Grabe trage, der jetzt
in diesem Zimmer neben mir liegt, während ich darauf warte,
daß bessere Zeiten kommen, und während ich das Geschöpf
austrage, das in meinem Bauch lebt, Tochter so vieler
Vergewaltigungen oder vielleicht Tochter Miguels, aber vor
allem meine Tochter.
Meine Großmutter schrieb fünfzig Jahre lang in ihre
Lebensnotizhefte. Von einigen komplizenhaften Geistern
versteckt, entgingen sie wunderbarerweise dem infamen
Scheiterhaufen, auf dem so viele andere Papiere meiner Familie
verbrannt sind. Hier liegen sie zu meinen Füßen, zugebunden
mit farbigen Bändern, nach Ereignissen getrennt und nicht nach
der chronologischen Ordnung, so wie Clara sie hinterließ, als sie
von uns ging. Clara hat sie geschrieben, damit sie mir dazu
dienten, die Dinge der Vergangenheit dem Vergessen zu
entreißen und mein eigenes Entsetzen zu überleben. Das erste ist
ein Schulheft von zwanzig Seiten, beschrieben in der zarten
Schönschrift eines Kindes. So fängt es an: »Barrabas kam auf
dem Seeweg in die Familie…«
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