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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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während diese Unseligen, die zu Besitzern meines
Eigentums geworden sind, jetzt halb verhungert wie eine Herde
räudiger Schafe herumlaufen und nach einer kleinen miserablen
Arbeit suchen, um zu überleben, arme Leute, es ist nicht ihre
Schuld, sie haben sich von der verfluchten Agrarreform
täuschen lassen, im Grunde habe ich ihnen verziehen und wäre
froh, wenn sie wieder auf die Drei Marien kämen, ich habe
sogar Anzeigen in die Zeitung gesetzt, um sie zurückzuholen,
eines Tages werden sie kommen und dann werde ich nicht
anders können, als ihnen die Hand entgegenzustrecken, sie sind
wie Kinder, schön, aber nicht deshalb bin ich gekommen,
Tránsito, ich will Ihnen nicht die Zeit stehlen, fest steht, daß
meine Lage nicht schlecht ist und meine Geschäfte gutgehen,
daß ich Ihnen also geben kann, was Sie wollen, was immer es
sei, wenn Sie mir nur meine Enkelin Alba finden, bevor mir so
ein Wahnsinniger noch mehr abgeschnittene Finger schickt oder
anfängt, mir abgeschnittene Ohren zu schicken, und mich
endgültig verrückt macht oder mich tötet durch einen
Herzinfarkt, entschuldigen Sie, daß ich mich so aufrege, mir
zittern die Hände, ich bin schrecklich nervös, aber ich kann mir
nicht erklären, was da geschehen ist, ein Postpaket, und darin
nichts als drei menschliche Finger, sauber amputiert, ein
makabrer Scherz, der mich an etwas erinnert, aber diese
Erinnerungen haben nichts mit Alba zu tun, meine Enkelin war
damals noch nicht geboren, zweifellos habe ich viele Feinde, wir
Politiker haben alle viele Feinde, es wäre denkbar, daß ein
perverser Kerl mich damit drangsalieren möchte, daß er mir
genau in dem Augenblick, in dem ich verzweifelt bin über die
Verhaftung Albas, per Post abgeschnittene Finger schickt, um
mir schreckliche Ideen in den Kopf zu setzen, denn wenn ich
nicht am Ende meiner Kräfte wäre, nachdem ich alle
Möglichkeiten erschöpft habe, wäre ich nicht gekommen, um
Sie zu belästigen, ich bitte Sie, Tránsito, im Namen unserer
schon alten Freundschaft bitte ich Sie, haben Sie Erbarmen mit
mir, ich bin ein armer schwacher Mann, haben Sie Mitleid und
suchen Sie meine Enkelin Alba, ehe sie sie mir stückchenweise
per Post schicken«, schluchzte ich.
    Tránsito Soto hat sich die Position, die sie hat, unter anderem
dadurch geschaffen, daß sie ihre Schulden zu zahlen versteht.
Ich nehme an, sie hat ihre Kenntnis der geheimsten Seiten der
jetzigen Machthaber genutzt, um mir die fünfzig
Pesos zu
vergelten, die ich ihr einmal geliehen habe. Zwei Tage später
rief sie mich an. »Ich bin Tránsito Soto, Patron. Ich habe Ihren
Auftrag erfüllt«, sagte sie.
Epilog
    Diese Nacht starb mein Großvater. Er starb nicht wie ein
Hund, wie er gefürchtet hatte, sondern friedlich in meinen
Armen, mich manchmal mit Clara und manchmal mit Rosa
verwechselnd, ohne Schmerzen und ohne Angst, bei klarem
Bewußtsein, gelassen, hellsichtiger denn je und glücklich. Jetzt
liegt er lächelnd und ruhig auf dem Segelschiff im stillen
Wasser, während ich an dem hellen Holztisch sitze, der meiner
Großmutter gehört hat, und schreibe. Ich habe die blauen
Seidenvorhänge zurückgezogen, damit der Morgen
hereinkommt und das Zimmer he ll macht. Im alten Vogelbauer
am Fenster singt ein neuer Kanarienvogel, und aus der Mitte des
Raums schauen mich die Glasaugen von Barrabas an. Mein
Großvater hat mir erzählt, daß Clara in Ohnmacht fiel, als er das
Fell als Teppich ins Zimmer legte, um ihr eine Freude zu
machen. Wir haben Tränen gelacht und beschlossen, im Keller
die Haut des armen
Barrabas zu suchen, der in seiner
undefinierbaren biologischen Konstitution trotz der langen Zeit
und der Verwahrlosung immer noch prächtig ist, und es auf
diese Stelle zu legen, wo mein Großvater es vor einem halben
Jahrhundert hingelegt hat, der Frau zu Gefallen, die er in seinem
Leben am meisten geliebt hat.
    »Lassen wir es hier, wo es immer hätte liegen sollen«, sagte
er.
Ich kam an einem strahlenden Wintermorgen nach Hause, auf
einem Karren, der von einem mageren Pferd gezogen wurde.
Die Straße mit ihren zwei Reihen hundertjähriger Kastanien und
ihren herrschaftlichen Villen schien eine ungeeignete Szenerie
für dieses schlichte Fahrzeug zu sein, aber als es vor dem Haus
meines Großvaters hielt, paßte es gut zu dessen Stil. Das große
Eckhaus war trauriger und älter, als ich mich erinnern konnte,
absurd mit seinen architektonischen Auswüchsen, dem
vorgeblich französischen
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