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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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der Angst zu haben, wie
mein Onkel Nicolas sagte, und so beschlossen wir, das Haus
ganz zu bewohnen und anzufangen, wieder ein normales Leben
zu führen. Mein Großvater beauftragte eine Spezialfirma, die
sich das Haus vom Dach bis zum Keller vornahm,
Reinigungsmaschinen einsetzte, Fenster putzte, Wände strich
und Zimmer desinfizierte, bis es wohnlich war. Ein halbes
Dutzend Gärtner und ein Traktor rodeten das Unkraut, entrollten
Grasnarben wie einen Teppich, eine fabelhafte Erfindung der
Gringos, und in weniger als einer Woche hatten wir sogar
gewachsene Birken, sprudelte das Wasser wieder in den
Brunnen und erhoben sich die olympischen Statuen wieder so
arrogant wie früher, endlich gereinigt von soviel Taubenmist
und soviel Vergessen. Gemeinsam gingen wir Vögel für die
Bauer kaufen, die leer standen seit dem Tag, an dem meine
Großmutter im Vorgefühl ihres Todes ihnen die Türen geöffnet
hatte. Ich stellte frische Blumen in die Vasen, wie zu Zeiten der
Geister, und Schalen voll Obst auf die Tische, und die Luft
sättigte sich mit ihrem Aroma. Danach gingen wir, mein
Großvater und ich, Arm in Arm durch das Haus, blieben an
jeder Stelle stehen, um uns der Vergangenheit zu erinnern und
die nicht wahrnehmbaren Gespenster aus anderen Epoche n zu
grüßen, die ungeachtet aller Wechselfälle noch immer auf dem
Posten sind.
Mein Großvater hatte die Idee, wir sollten diese Geschichte
aufschreiben.
»Dann kannst du deine Wurzeln mit fortnehmen, wenn du
eines Tages hier weg mußt, Kleines«, sagte er.
Wir kramten aus versteckten und vergessenen Winkeln die
alten Alben hervor, und so habe ich hier auf dem Tisch meiner
Großmutter einen Berg von Bildern: die schöne Rosa auf einer
verwitterten Schaukel, meine Mutter und Pedro Tercero García
als Vierjährige, Hühner fütternd auf dem Hof der Drei Marien,
mein Großvater in seinen jungen Jahren, als er noch einen Meter
achtzig groß war, ein unwiderleglicher Beweis dafür, daß sich
Férulas Fluch erfüllt hatte und sein Körper in gleichem Maße
geschrumpft war, in welchem seine Seele kleiner geworden war,
meine Onkel Jaime und Nicolas, der eine schweigsam und
düster, riesenhaft und verwundbar, der andere hager und spaßig,
flatterhaft und lächelnd, auch die Nana und die Urgroßeltern del
Valle, ehe sie bei einem Autounfall ums Leben kamen, alle samt
und sonders, bis auf den adligen Jean de Satigny, von dem kein
wissenschaftlich stichhaltiges Zeugnis geblieben ist und dessen
Existenz ich manchmal sogar bezweifle.
Ich begann zu schreiben, mit Hilfe meines Großvaters, dessen
Gedächtnis bis zum letzten Augenblick seiner neunzig Jahre
intakt blieb. Er selbst schrieb eigenhändig mehrere Seiten, und
als er fand, daß er alles gesagt hatte, legte er sich in das Bett von
Clara. Ich setzte mich neben ihn und wartete mit ihm, und der
Tod stand nicht an, friedlich zu kommen: er überraschte ihn im
Schlaf. Vielleicht träumte er, daß seine Frau es war, die ihm die
Hand streichelte und ihn auf die Stirn küßte, denn in den letzten
Tagen wich sie keinen Augenblick von seiner Seite, sie folgte
ihm durchs Haus, sie sah ihm über die Schulter, ihren schönen,
von Locken gekrönten Kopf an seiner Schulter. Anfangs war sie
ein geheimnisvoller Schein, aber in dem Maße, in welchem
mein Großvater für immer die Wut verlor, die ihn sein Leben
lang gequält hatte, erschien sie so, wie sie in ihren besten Zeiten
gewesen war, lachend mit allen ihren Zähnen und die Geister
aufscheuchend mit ihrem raschen Flug. Sie half uns auch beim
Schreiben, und ihrer Anwesenheit war es zu verdanken, daß
Esteban Trueba glücklich starb, ihren Namen murmelnd, Clara,
clarísima, clarividente.
Im Hundestall schrieb ich, weil ich dachte, daß Oberst Garcia
eines Tages als Besiegter vor mir stehen würde und ich alle die
Menschen rächen könnte, die gerächt werden müssen. Aber jetzt
zweifle ich an meinem Haß. Innerhalb weniger Wochen, seit ich
wieder in diesem Haus bin, scheint er sich aufgelöst, seine
scharfen Konturen verloren zu haben. Ich vermute, daß alles,
was geschehen ist, kein Zufall ist, sondern zu einem Schicksal
gehört, das vor meiner Geburt entworfen worden ist und daß
Esteban García ein Teil dieses Entwurfs ist. Er ist ein roher,
krummer Strich, aber kein Strich ist nutzlos. An dem Tag, an
dem mein Großvater Esteban Garcías Großmutter Pancha in den
Büschen am Fluß vergewaltigte, fügte er ein neues Glied an eine
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