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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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Müllhalde, auf der
Ratten zwischen den Abfällen herumliefen. Im schwachen
Mondlicht konnte ich in der Ferne eine Siedlung sehen,
kümmerliche Behausungen aus Pappkarton, Blech und Brettern.
Ich begriff, daß ich den Rat des Polizisten ernst nehmen und hier
warten mußte, bis es hell wurde. Ich hätte die Nacht auf der
Müllhalde verbracht, wenn nicht, in den Schatten geduckt, ein
kleiner Junge gekommen wäre und mir verstohlen Zeichen
gemacht hätte. Da ich nicht mehr viel zu verlieren hatte,
stolperte ich ihm entgegen. Als ich näher kam, sah ich sein
ängstliches Gesicht. Er warf mir einen Umhang über die
Schultern, nahm mich an der Hand und führte mich wortlos in
die Siedlung. Wir gingen geduckt, mieden die Straße und die
wenigen angezündeten Laternen. Ein paar Hunde bellten, aber
niemand streckte den Kopf aus dem Fenster, um nachzusehen,
was los war. Wir überquerten einen Hof aus gestampfter Erde,
wo Wäschestücke wie Anhänger von einem Draht herabhingen,
und traten in eine Hütte, die so verfallen war wie alle übrigen.
Ich war erschüttert von der extremen Armut: das Mobiliar
bestand aus einem Fichtentisch, zwei plumpen Stühlen und
einem Bett, in dem mehrere Kinder auf einem Haufen schliefen.
Eine Frau kam mir entgegen, klein, dunkelhäutig, mit
Krampfadern an den Beinen, die Augen in ein Netz freundlicher
Falten eingebettet, die sie nicht alt machten. Sie lächelte, und ich
sah, daß ihr ein paar Zähne fehlten. Sie trat auf mich zu und
rückte den Umhang auf meinen Schultern zurecht, eine brüske,
schüchterne Geste als Ersatz für die Umarmung, die sie mir
nicht zu geben wagte.
»Ich werde Ihnen den Tee machen. Ich habe keinen Zucker,
aber etwas Warmes zu trinken wird Ihnen guttun«, sagte sie.
Sie erzählte mir, daß sie den Polizeiwagen gehört und gewußt
habe, was ein Fahrzeug, das während der Sperrstunde durch
diese Gegend fuhr, bedeutete. Sie hatten gewartet, bis sie sicher
waren, daß es weggefahren war, dann war der kleine Junge
hinausgelaufen, um nachzusehen, was sie hinterlassen hatten.
Sie hatten gedacht, sie würden einen Toten finden.
»Manchmal werfen sie uns einen Erschossenen hin, damit.die
Leute Respekt vor ihnen haben«, erklärte sie mir.
Wir unterhielten uns die ganze restliche Nacht. Sie war eine
dieser stoischen und praktischen Frauen unseres Landes, die von
jedem Mann, der durch ihr Leben geht, ein Kind haben und die
dazu noch von anderen verlassene Kinder, arme Verwandte oder
wer sonst eine Mutter, eine Schwester, eine Tante braucht, bei
sich aufnehmen, Frauen, die der tragende Pfeiler vieler fremder
Leben sind, die Kinder aufziehen, damit sie weggehen, und die
ihre Männer weggehen sehen, ohne ihnen einen Vorwurf zu
machen, weil es Wichtigeres gibt, worum sie sich kümmern
müssen. Sie erinnerte mich an viele andere Frauen, die ich in
den Volksküchen kennengelernt hatte, im Krankenhaus meines
Onkels Jaime, im Pfarramt, wo sie nach ihren Verschwundenen
forschten, im Leichenhaus, wo sie ihre Toten suchten. Ich sagte
ihr, daß sie ein großes Risiko auf sich genommen habe, um mir
zu helfen, und sie ächelte. Da wußte ich, daß die Tage von
Oberst Garcia und anderen Männern seines Schlages gezählt
waren, weil sie den Geist dieser Frauen nicht hatte brechen
können.
Am Morgen brachte sie mich zu einem Mann, der einen
Mietwagen und ein Pferd hatte. Sie bat ihn, mich nach Hause zu
fahren, und so kam ich hier an. Unterwegs konnte ich die Stadt
in ihrem schrecklichen Gegensatz sehen, die Hütten der Armen,
versteckt hinter Plakatwänden, um den Anschein zu erwecken,
daß es sie nicht gab, die dichtbebaute, graue Innenstadt und das
Barrio Alto mit seinen englischen Gärten, seinen Parks, seinen
Wolkenkratzern aus Glas und seinen blonden, auf dem Fahrrad
spazierenfahrenden Infanten. Selbst die Hunde sahen hier
glücklich aus, alles in Ordnung, alles sauber, alles ruhig, und
dieser solide Frieden eines Bewußtseins ohne Gedächtnis.
Dieses Viertel ist wie ein anderes Land.
Der Großvater hörte mir traurig zu. Eine Welt, die er für gut
gehalten hatte, fiel ihm endgültig in Trümmer.
»Wenn wir schon hierbleiben und auf Miguel warten werden,
wollen wir das Haus ein bißchen in Ordnung bringen«, sagte er
am Ende.
Und das taten wir. Zuerst verbrachten wir die Tage in der
Bibliothek, unruhig bei dem Gedanken, daß sie zurückkommen
und mich wieder zu Garcia bringen könnten, aber später fanden
wir, das Schlimmste sei, Angst vor
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