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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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Wand entlangschlichen, um nicht erkannt zu
werden. Die Nana empfing die Kunden, plazierte sie auf die
Stühle im Vestibül und kassierte die Honorare. Sie war damit
fast den ganzen Tag so in Anspruch genommen, daß sie ihre
Arbeit in der Küche vernachlässigte und die Familie sich zu
beschweren begann, weil es zum Abendessen nur noch trockene
Bohnen und Quittenkonfitüre gab. Marcos dekorierte die
Remise mit verschlissenen Vorhängen, die früher im Salon
gehangen hatten und im Lauf der Zeit zu staubigen Fetzen
geworden waren. Dort empfing er mit Clara das Publikum. Die
zwei Wahrsager trugen Gewänder »in der Farbe der
Lichtmenschen«, wie Marcos das Gelb bezeichnete. Die Nana
hatte sie im Süßspeisentopf mit Schwefelpulversud gelb gefärbt.
Dazu trug Marcos einen kunstvoll um den Kopf geschlungenen
Turban und am Hals ein ägyptisches Amulett. Er hatte sich den
Bart und das Haupthaar wachsen lassen und war magerer denn
je. Er und Clara wirkten vollkommen überzeugend, um so mehr,
als die Kleine die Glaskugel gar nicht anzusehen brauchte, um
zu wissen, was jeder hören wollte. Sie flüsterte dem Onkel die
Botschaft ins Ohr, und dieser gab sie samt den ihm passend
erscheinenden improvisierten Ratschlägen an die Kunden
weiter. So verbreitete sich sein Ruf, denn wer das
Beratungszimmer niedergeschlagen und traurig betrat, verließ es
hoffnungsfroh, wer an unerwiderter Liebe litt, erfuhr, wie er das
ungerührte Herz erweichen konnte, und die Armen nahmen
unfehlbare Tricks für die Wetten bei Hunderennen mit nach
Hause. Das Geschäft florierte so prächtig, daß das Vestibül
ständig voll von Leuten war und die Nana vom vielen Stehen
Schwindelanfälle bekam. Diesmal mußte
Severo
nicht
eingreifen, um der unternehmerischen Initiative seines
Schwagers Einhalt zu gebieten. Als sich die zwei Wahrsager
darüber klar wurden, daß sie mit ihren Erfolgsrezepten
Schicksale verändern konnten, weil die Kunden ihre Reden
wörtlich nahmen, bekamen sie es mit der Angst zu tun und
fanden, daß dies ein betrügerisches Geschäft sei. Sie gaben das
Remisenorakel auf und teilten den Gewinn redlich, obgleich
eigentlich nur die Nana an der materiellen Seite des Geschäfts
interessiert war.
    Clara war von allen Geschwistern del Valle diejenige, die sich
die Geschichten des Onkels am ausdauerndsten und
aufmerksamsten anhörte. Sie konnte sie alle nacherzählen, sie
merkte sich eine Reihe von Dialektwörtern ausländischer Indios,
sie wußte über deren Lebensgewohnheiten Bescheid und konnte
ebensogut die Methoden beschreiben, mit denen sie sich kleine
Holzpflöcke in Lippen und Ohrläppchen trieben, wie ihre
Initiationsriten, die kannte die Namen giftiger Schlangen samt
den wirksamen Gegengiften. Ihr Onkel erzählte so gut, daß das
kleine Mädchen den brennenden Biß einer Viper im eigenen
Fleisch spürte, sie sah das Reptil zwischen den Beinen der
Jacaranda-Konsole über den Teppich kriechen, sie hörte die
Schreie der Affen in den Vorhängen des Salons. Ohne zu
stocken, berichtete sie, welchen Weg Lope de Aguirre bei seiner
Suche nach El
Dorado genommen habe, wiederholte die
unaussprechlichen Namen der Flora und Fauna, die der
wunderbare Onkel gesehen oder erfunden hatte, sie wußte, daß
Lamas ihren Tee gesalzen und mit Yakfett trinken, und konnte
in allen Einzelheiten üppige Polynesierinnen, chinesische
Reisfelder oder die weißen Ebenen der Nordländer beschreiben,
wo das ewige Eis Tiere und Menschen tötet, wenn sie nicht
aufpassen, weil es sie andernfalls binnen weniger Minuten
erstarren läßt. Marcos besaß mehrere Reisetagebücher, in die er
seine Routen und seine Eindrücke notiert hatte, und in den
Koffern, die in der Rumpelkammer im hintersten Hof verstaut
waren, eine Sammlung von Geschichten- und Abenteuer- und
sogar Märchenbüchern. Dort kamen sie hervor, um die Träume
seiner Nichten und Neffen zu bevölkern, bis sie ein halbes
Jahrhundert später irrtümlicherweise auf einem niederträchtigen
Scheiterhaufen verbrannten.
    Von seiner letzten Reise kehrte Marcos in einem Sarg zurück.
Er war an einer mysteriösen afrikanischen Pest gestorben, die
ihn faltig und gelb wie Pergament machte. Als er sich krank
fühlte, trat er die Heimreise an, weil er hoffte, die Pflege seiner
Schwester und des Doktor Cuevas würden ihm die Gesundheit
zurückgeben, aber er überstand die sechzig Tage
Schiffsüberfahrt nicht, sondern starb auf der Höhe von
Guayaquil, geschwächt vom Fieber und im
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