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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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ein großer Teil der Sachen im Gepäck des
Onkels Souvenirs aus diesem fernen Land waren. Seine
Fähigkeit zu wachsen war unbegrenzt. Nach sechs Monaten
hatte er die Größe eines Schafs, nach einem Jahr die Ausmaße
eines Fohlens. Verzweifelt fragte sich die Familie, bis wohin er
noch wachsen würde, und begann zu zweifeln, daß er tatsächlich
ein Hund war. Vielleicht, spekulierte sie, handelte es sich um ein
exotisches Tier, das der forschungsreisende Onkel in einer
abgelegenen Weltgegend erjagt hatte und das im Naturzustand
wild war. Wenn Nivea seine Krokodilsklauen und scharfen
Zähne beobachtete, zitterte ihr Mutterherz bei dem Gedanken,
daß die Bestie nur einmal zuzuschnappen brauchte, um einem
erwachsenen Menschen den Kopf abzureißen, um so mehr
jedem ihrer Kinder. Aber Barrabas gab keinerlei Anzeichen von
Wildheit zu erkennen. Im Gegenteil. Er war verspielt wie eine
Katze. Er schlief in Claras Armen in ihrem Bett, den Kopf auf
dem Federkissen und bis zum Hals zugedeckt, weil er verfroren
war, und später, als er im Bett keinen Platz mehr hatte, streckte
er sich neben ihm auf den Boden, seine Pferdeschnauze auf der
Hand des Kindes. Niemand hörte ihn bellen oder knurren. Er
war schwarz und still wie ein Panther, hatte eine Vorliebe für
Schinken und eingemachtes Obst, und jedesmal, wenn Besuch
kam und man ihn einzusperren vergaß, schlich er ins Eßzimmer,
strich um den Tisch und schnappte sich vorsichtig seine
Lieblingsbissen von den Tellern, ohne daß ihn jemand daran zu
hindern wagte. Trotz seiner mädchenhaften Sanftheit flößte
Barrabas Furcht ein. Die Lieferanten rannten nur so, wenn er
sich auf der Straße zeigte, und einmal löste er unter den Frauen,
die am Milchwagen standen, Panik aus, das Zugpferd scheute
und rannte wie aus der Pistole geschossen davon, unter dem
Gepolter der umstürzenden, ihren Inhalt auf die Straße
ergießenden Milchkannen. Severo, der den Schaden bezahlen
mußte, befahl, den Hund künftig im Hof anzuketten, aber Clara
bekam wieder ihren Tobsuchtsanfall, und der Beschluß wurde
vertagt. In Unkenntnis seiner Rasse schrieb die Phantasie der
Leute Barrabas die Eigenschaften eines Fabelwesens zu. Es
hieß, er sei gewachsen und gewachsen und wäre so groß wie ein
Kamel geworden, hätte nicht ein brutaler Metzger seinem Leben
ein Ende bereitet. Die Leute hielten ihn für das Produkt einer
Kreuzung von Hund und Stute, sie mutmaßten, daß er Flügel,
Hörner und einen schwefligen Atem bekommen würde wie die
Tiere, die Rosa in ihre endlose Tischdecke stickte. Die Nana, die
es satt hatte, zerbrochenes Porzellan aufzukehren und sich das
Geschwätz der Leute anzuhören, die behaupteten, daß er sich in
Mondnächten in einen Wolf verwandle, wandte bei Barrabas die
gleiche Methode an wie bei dem Papagei, aber statt ihn
umzubringen, bewirkte die Überdosis Lebertran bei ihm nur
einen vier Tage dauernden Dünnpfiff, der das Haus von oben bis
unten verschmutzte, und sie selber mußte ihn wegputzen.
    Es waren schwere Zeiten. Ich war damals ungefähr
fünfundzwanzig Jahre alt, aber mir war, als hätte ich nur eine
kurze Spanne Lebens vor mir, um mir eine Zuk unft aufzubauen
und die Position zu schaffen, die ich mir wünschte. Ich arbeitete
wie ein Tier, und wenn ich mich unter dem Zwang eines tödlich
langweiligen Sonntags einmal hinsetzte und ausruhte, hatte ich
das Gefühl, daß mir kostbare Zeit verlorenging und mich jede
müßig verbrachte Minute ein Jahrhundert von Rosa entfernte.
Ich lebte im Bezirk der Mine in einem kleinen Holzhaus mit
Zinkdach, das ich mir mit Hilfe einiger Arbeiter selbst gebaut
hatte. Es hatte nur ein einziges quadratisches Zimmer, in dem
ich meine Sachen verstaute, ein Fenster in jeder Wand, damit
die heiße Tagesluft abzog, und Läden, die ich nachts, wenn der
eisige Wind wehte, schließen konnte. Mein Mobiliar bestand aus
einem Stuhl, einem Feldbett, einem ungehobelten Tisch, einer
Schreibmaschine und einem schweren, auf Maultierrücken
durch die Wüste transportierten Tresor. In ihm verschloß ich den
Lohn für die Bergarbeiter, einige Papiere und den Rupfensack
mit den kleinen, glänzenden Goldklümpchen, den Früchten so
harter Arbeit. Es war nicht bequem, aber an Unbequemlichkeit
war ich gewöhnt. Ich hatte nie in warmem Wasser gebadet,
meine Kindheitserinnerungen waren Kälte, Einsamkeit und ein
ewig leerer Bauch. Hier habe ich zwei Jahre lang gegessen,
geschlafen und geschrieben, ohne eine andere
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