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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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Rosa hielt es für ausgeschlossen, daß
Esteban Trueba tonnenweise Steine sammelte, in der Hoffnung,
sie würden nach unheimlichen Verbrennungsprozessen ein
Gramm Gold ausspucken. Inzwischen wartete sie auf ihn, ohne
sich zu langweilen, unbeirrbar vertieft in die selbstauferlegte
Aufgabe, die größte Tischdecke der Welt zu sticken. Mit
Hunden, Katzen, Schmetterlingen hatte sie angefangen, aber
bald bemächtigte sich die Phantasie ihrer Handarbeit, und unter
den besorgten Blicken ihres Vaters entsprang ihrer Nadel ein
Paradies unmöglicher Tiere. Severo meinte, es sei an der Zeit,
daß seine Tochter ihre Trägheit abschüttele und die Füße auf
den Boden stelle, sie solle den Haushalt lernen und sich auf die
Ehe vorbereiten, aber Nivea teilte diese Sorge nicht. Sie zog es
vor, ihre Tochter nicht mit derart irdischen Aufgaben zu quälen,
ahnte sie doch, daß Rosa ein Himmelswesen und nicht dazu
geschaffen war, es lange im ordinären Getriebe dieser Welt
auszuhalten. Deshalb ließ sie sie in Frieden bei ihrem Stickgarn
und erhob keinen Einspruch gegen den alptraumhaften
Tiergarten.
    Eine Stange brach in Niveas Korsett, die Spitze bohrte sich ihr
in die Rippen. Sie erstickte fast in ihrem blauen Seidenkleid mit
dem hohen Spitzenkragen, den engen Ärmeln und der Taille, die
so fest geschnürt war, daß ihr, wenn die Bänder gelöst wurden,
eine halbe Stunde lang der Bauch weh tat, bis die Därme wieder
in ihre normale Stellung zurückfanden. Sie hatte oft mit ihren
Freundinnen, den Frauenrechtlerinnen, darüber diskutiert, und
jedesmal waren sie zu dem Schluß gekommen, daß es
gleichgültig war, ob die Frauen Medizin studieren oder das
Stimmrecht ausüben durften, denn solange sie nicht ihre Röcke
und ihre Haare abschnitten, würden sie doch nicht den Mut
aufbringen, es zu tun, aber auch sie hatte nicht den Schneid, als
erste der Mode abzuschwören. Sie stellte fest, daß die galicische
Stimme nicht mehr auf ihr Gehirn einhämmerte, sondern
innehielt in einer jener ausgedehnten Pausen, die der Priester in
genauer Kenntnis der Wirksamkeit eines ungemütlichen
Schweigens häufig einlegte. Das waren die Augenblicke, in
denen seine glühenden Augen die Gemeindemitglieder eins ums
andere musterten. Nivea löste ihre Hand aus der ihrer Tochter
Clara und zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel, um sich einen
Tropfen Schweiß abzuwischen, der ihr über den Hals lief. Die
Stille verdichtete sich, in der Kirche schien die Zeit
stillzustehen, aber niemand hätte zu husten oder die Stellung zu
verändern gewagt, um nicht Pater Restrepos Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken, dessen letzte Worte noch zwischen den
Säulen nachzitterten.
    Und in diesem Augenblick, erinnerte sich Nivea Jahre später,
inmitten der Bangigkeit und der Stille, erklang mit aller
Deutlichkeit die Stimme ihrer kleinen Clara.
    »Pst, Pater Restrepo! Wenn die Geschichte mit der Hölle aber
nur geschwindelt ist? Dann sind wir alle angeschmiert.«
Der Zeigefinger des Jesuiten, der schon in die Luft
emporgereckt war, um neue Martern anzukünd igen, blieb wie
ein Blitzableiter über seinem Kopf stehen. Die Leute hielten den
Atem an, wer eingenickt war, wachte wieder auf. Die Ehegatten
del Valle, die panischen Schrecken in sich aufsteigen fühlten
und sahen, wie ihre Kinder nervös auf den Bänken
herumrutschten, reagierten als erste. Severo begriff, daß er
handeln mußte, ehe ein allgemeines Gelächter ausbrach oder
eine himmlische Katastrophe über sie hereinbrach. Er packte
seine Frau am Arm und Clara am Kragen und verließ, beide
hinter sich herziehend, mit großen Schritten die Kirche, gefolgt
von seinen übrigen Kindern, die im Trupp zur Tür rannten. Es
gelang ihnen hinauszukommen, ehe der Priester den Blitz auf sie
herabbeschwor, der sie in Salzsäulen verwandeln würde, aber
auf der Schwelle vernahmen sie seine Stimme, schrecklich wie
die eines beleidigten Erzengels.
»Besessene! Hochmütige Besessene!«
    Die Worte Pater Restrepos gruben sich der Familie wie eine
schlimme Diagnose ins Gedächtnis, und in den folgenden Jahren
sollte sie mehr als einmal Gelege nheit haben, sich ihrer zu
erinnern. Die einzige, die nicht mehr an sie dachte, war Clara.
Sie schrieb sie in ihr Tagebuch und vergaß sie dann. Ihren Eltern
hingegen gingen die Worte nicht aus dem Kopf, obwohl beide
meinten, Besessenheit und Hochmut seien für ein so kleines
Mädchen doch allzu große Sünden. Sie fürchteten die bösen
Zungen der Leute
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