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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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Pater Restrepo
nachdrücklich betonte. Niemand hätte gewagt, ihm nicht zu
gehorchen, denn der Priester war mit einem langen Zeigefinger
ausgestattet, um damit öffentlich auf die Sünder zu deuten, und
besaß eine Zunge, die im Aufrütteln der Gefühle bestens
trainiert war.
    »Du hast Geld aus der Kollekte gestohlen, du Dieb«, wetterte
er, von der Kanzel herab auf einen Herrn deutend, der vorgab,
mit einem Fussel an seinem Revers beschäftigt zu sein, um nicht
aufblicken zu müssen. »Du, Schamlose, prostituierst dich auf
den Molen«, beschuldigte er die von Arthritis verkrümmte Ester
Trueba, eine Getreue der heiligen Jungfrau von Karmel, die
erstaunt die Augen aufriß, weil sie die Bedeutung dieses Wortes
nicht kannte und nicht einmal wußte, wo die Molen lagen.
»Geht in euch, Sünder, faules Aas, die ihr nicht würdig seid des
Opfers, das unser Herr auf sich genommen hat. Fastet! Tut
Buße!«
    Wenn ihn im Eifer der Seelsorge Begeisterung hinriß, mußte
sich der Priester Zwang antun, um nicht offen gegen die
Anweisungen seiner Oberen zu verstoßen, die im Zuge der
neuen Zeiten Büßergürtel und Geißelungen ablehnten. Er selbst
war durchaus dafür, den Schwachheiten der Seele mit einer
ordentlichen Tracht Prügel Herr zu werden. Er war berühmt für
seine hemmungslosen Predigten. Seine Getreuen folgten ihm
von Gemeinde zu Gemeinde und schwitzten, wenn er ihnen die
Höllenqualen der Sünder schilderte, die ingeniösen
Folterwerkzeuge, die das Fleisch zerfetzten, die ewigen
Flammen, die Krallen, die sich in das Glied des Mannes
einbohrten, die abscheulichen Schlangen, die in die
Leibesöffnungen der Frauen krochen, und viele andere Martern,
mit denen er in jeder Predigt Gottesfurcht verbreitete. Selbst den
Teufel beschrieb er bis in seine intimsten Anomalien, und das
alles mit dem galicischen Akzent des Priesters, dessen Aufgabe
auf Erden es war, die Gewissen der trägen Kreolen aufzurütteln.
    Severo del Valle war Atheist und Freimaurer, aber da er
politischen Ehrgeiz besaß, konnte er sich den Luxus nicht
leisten, an Sonntagen und kirchlichen Feiertagen in der
meistbesuchten Messe zu fehlen, er mußte sich zeigen. Nivea,
seine Frau, verständigte sich lieber ohne Mittelsmänner mit
Gott, ihr Mißtrauen gegen die Soutanen reichte tief, die
Beschreibungen des Himmels, des Fegefeuers und der Hölle
langweilten sie, aber sie unterstützte den parlamentarischen
Ehrgeiz ihres Mannes in der Hoffnung, daß, wenn er einen Sitz
im Kongreß erhielte, sie das Stimmrecht der Frauen durchsetzen
könnte, um das sie seit zehn Jahren kämpfte, ohne daß ihre
zahlreichen Schwangerschaften ihren Elan hätten schwächen
können. An diesem Gründonnerstag hatte Pater Restrepo die
Zuhörer mit seinen apokalyptischen Visionen bis an die Grenze
ihrer Widerstandsfähigkeit getrieben, und Nivea fühlte sich
schwindlig werden. Sie fragte sich, ob sie wieder schwanger
wäre. Trotz der Essigwaschungen und der mit Galle getränkten
Schwämme hatte sie fünfzehn Kinder zur Welt gebracht, von
denen elf noch am Leben waren, und sie hatte Grund zu der
Annahme, daß sie sich allmählich der Reife näherte, denn ihre
Tochter Clara, die Jüngste, war zehn Jahre alt. Der Schwung
ihrer erstaunlichen Fruchtbarkeit schien endlich nachzulassen.
Sie schob ihre Übelkeit auf jene Stelle der Predigt, da der Pater,
auf sie deutend, von den Pharisäern gesprochen hatte, die
danach trachteten, die unehelichen Kinder zu legitimieren, die
standesamtliche Ehe einzuführen und den Frauen die gleiche
Stellung wie dem Manne einzuräumen, in offenem Widerspruch
gegen das Gesetz Gottes, das in diesem Punkt eindeutig war.
Nivea und Severo nahmen mit ihren Kindern die ganze dritte
Bank ein. Clara saß neben ihrer Mutter, und diese drückte ihr
ungeduldig die Hand, sooft der Pfarrer sich allzu weitläufig über
die Sünden des Fleisches ausließ, denn sie wußte, daß sich ihre
kleine Tochter dann Verfehlungen weit jenseits aller
Wirklichkeit ausmalte, wie aus den Fragen hervorging, die sie
den Erwachsenen stellte und die niemand ihr beantworten
konnte. Clara war frühreif und besaß eine überschäumende
Phantasie, das Erbteil aller Frauen ihrer Familie
mütterlicherseits. Die Hitze in der Kirche hatte zugenommen,
der Weihrauch und die dichtgedrängte Menge trugen zu Niveas
Schwächeanfall bei. Sie wünschte, der Gottesdienst wäre zu
Ende und sie könnte in ihr kühles Haus zurückkehren, sich in
den mit Farn
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