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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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bepflanzten Patio setzen und die Mandelmilch
trinken, die die Nana an Feiertagen zubereitete. Sie blickte auf
ihre Kinder: die kleineren waren müde, saßen steif in ihren
Sonntagskleidern da, die größeren fingen an, sich abzulenken.
Sie ließ ihren Blick auf Rosa ruhen, der ältesten ihrer lebenden
Töchter, und war wie immer überwältigt. Ihre sonderbare
Schönheit hatte etwas so Berückendes, daß nicht einmal sie sich
ihr entziehen konnte, sie schien aus einem and eren Stoff
gemacht zu sein als das Menschengeschlecht. Noch ehe sie
geboren wurde, wußte Nivea, daß sie nicht von dieser Welt war,
denn sie hatte sie in Träumen gesehen und war deshalb nicht
überrascht, als die Hebamme bei ihrem Anblick aufschrie. Rosa
war bei ihrer Geburt weiß, glatt und faltenlos wie eine
Porzellanpuppe, mit grünem Haar und gelben Augen, das
schönste Geschöpf, das seit dem Sündenfall auf Erden geboren
wurde, wie die Hebamme, sich bekreuzigend, sagte. Nach dem
ersten Bad wusch ihr die Nana das Haar mit Kamillentee,
wodurch die Farbe weicher wurde, eine Schattierung wie Bronze
bekam, und sie legte sie nackt in die Sonne, damit sich ihre Haut
kräftigte, die an den zartesten Stellen am Bauch und in den
Achselhöhlen so durchscheinend war, daß man die Adern und
das geheimnisvolle Gewebe der Muskeln sehen konnte. Doch
richteten diese Zigeunertricks nicht viel aus, und bald lief das
Gerücht um, ein Engel sei ihnen geboren worden. Nivea hoffte,
die undankbaren Perioden des Wachstums würden ihrer Tochter
ein paar Unvollkommenheiten verleihen, aber nichts dergleichen
geschah, im Gegenteil, Rosa wurde auch mit achtzehn nicht dick
und bekam keine Pickel, vielmehr nahm ihre Anmut noch zu.
Ihre leicht bläulich schimmernde Haut und der Farbton ihres
Haars, die Langsamkeit ihrer Bewegungen und ihr stiller
Charakter erinnerten an einen Wasserbewohner. Sie hatte etwas
von einem Fisch, und hätte sie einen Schuppenschwanz gehabt,
wäre sie eindeutig eine Sirene gewesen, doch ihre zwei Beine
stellten sie auf eine nicht genau definierbare Grenze zwischen
menschlichem Geschöpf und mythologischem Wesen. Trotz
allem war das Leben des jungen Mädchens fast normal
verlaufen, sie hatte einen Bräutigam, eines Tages würde sie
heiraten, und die Verantwortung für ihre Schönheit würde in
andere Hände übergehen. Rosa senkte den Kopf, ein
Sonnenstrahl, der durch die gotischen Kirchenfenster sickerte,
legte einen Heiligenschein um ihr Profil. Einige Leute drehten
sich nach ihr um und tuschelten, aber das geschah auch sonst
oft, wenn sie vorüberging. Sie schien es nicht zu bemerken, sie
war immun gegen die Eitelkeit, und an diesem Tag beachtete sie
ihre Umwelt noch weniger als sonst, weil sie sich neue Tiere
ausdachte, die sie auf ihre Tischdecke sticken wollte, halb
Vögel, halb Säugetiere, mit schillernden Federn, Hörnern und
Klauen, dick und mit so kurzen Flügeln, daß sie die Gesetze der
Biologie und der Aerodynamik herausforderten. An ihren
Bräutigam, Esteban Trueba, dachte sie selten, nicht aus
Lieblosigkeit, sondern ihrer natürlichen Vergeßlichkeit wegen
und weil zwei Jahre eine lange Abwesenheit sind. Er arbeitete in
den Minen im Norden. Er schrieb ihr regelmäßig, und Rosa
antwortete ihm ab und zu mit abgeschriebenen Versen oder mit
Blumen, in Tusche auf Pergament gezeichnet. Dank dieser von
Nivea sorgfältig kontrollierten Korrespondenz lernte sie das Auf
und Ab im wechselvollen Schicksal eines Bergmanns kennen,
die ständige Bedrohung durch ein Einsturz eines Stollens, die
Jagd nach eigenwilligen Erzadern, die Bitte um die Gewährung
von Krediten auf künftigen Reichtum, das Vertrauen auf eine
wunderbare Goldader, durch die er rasch zu Geld kommen
würde und heimkehren könnte, um Rosa an seinem Arm zum
Traualtar zu führen und damit, wie er am Ende jedes Briefes
versicherte, der glücklichste Mensch auf dieser Welt zu werden.
Doch Rosa hatte mit dem Heiraten keine Eile. Sie hatte den
einzigen, beim Abschied gewechselten Kuß schon beinahe
vergessen, auch an die Augenfarbe dieses hartnäckigen
Bräutigams erinnerte sie sich kaum mehr. Da romantische
Romane ihre einzige Lektüre waren, stellte sie sich ihn gern vor,
wie er in hohen Stiefeln, die Haut von den Wüstenwinden
gegerbt, die Erde nach Seeräuberschätzen, spanischen Dublonen
und inkaischen Juwelen durchwühlte, und es war zwecklos, daß
Nivea ihr klarzumachen versuchte, der Reichtum einer Mine
liege im Gestein, denn
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