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Das geht auf keine Kuhhaut

Das geht auf keine Kuhhaut

Titel: Das geht auf keine Kuhhaut
Autoren: Gerhard Wagner
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aber falsch anzunehmen, dass die älteren Semester, zu deren aktivem Wortschatz sie noch gehören, wüssten, woher diese Formulierungen ursprünglich kommen und unter welchen Umständen sie einmal entstanden sind. Denn Gegenstände wie Bockshorn oder Daumenschraube sind in unseren Breiten schon ziemlich lange nicht mehr im Gebrauch.
     
    Bei der Quellenforschung ist allerdings Vorsicht geboten. Die Herkunft vieler mittelalterlich klingender Redensarten erweist sich bei näherem Hinsehen nämlich als nicht wirklich historisch. Eine ganze Reihe ist auch erst im 19. Jahrhundert in Gebrauch gekommen, einige scheinbar alte sind auch noch deutlich jünger.
     
    Viele aber sind im 18. Jh. schriftlich bezeugt und sicher sehr viel älter; die Entstehungszeit wird oft mit „früher“ oder „aus alter Zeit“ angegeben. Und tatsächlich stammen doch sehr viele Redensarten aus der Zeit der Ritter und Minnesänger, also dem sogenannten Mittelalter. Da die Quellen des 9. bis 11. Jahrhunderts fast ausschließlich in Latein geschrieben wurden, ist, was Redewendungen betrifft, erst Mittelhochdeutsch ergiebig, denn in dieser Sprache des Hochmittelalters, also der Zeit zwischen 1050 und 1250, war die höfische Literatur verfasst – Walther von der Vogelweide ist der bekannteste Vertreter. Unsere Sprache hat seitdem noch mehrere Wandlungen mitgemacht. Für die Zeit nach dem 14. Jahrhundert spricht man von Frühneuhochdeutsch; das bekannteste Textzeugnis dieser Sprachstufe ist Luthers Bibelübersetzung von 1545 mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache. Der Beginn des Neuhochdeutschen, also unserer heutigen Sprache, wird auf die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert.
    |9| Es muss auch stets berücksichtigt werden, dass in Deutschland in den fraglichen Jahrhunderten immer mehrere Sprachen neben- bzw. übereinanderher existierten, besonders Latein, Französisch und auch Jiddisch. Alle haben Einfluss gehabt auf unsere Sprache, allein das Jiddische, also die Alltagssprache der mitteleuropäischen Juden, hat über 50 Begriffe wie Schlamassel, meschugge, Schmiere oder Stuss hinterlassen, die wir bis heute aktiv verwenden, meist ohne uns über ihre Abstammung im Klaren zu sein. Aus Platzgründen musste darauf verzichtet werden, an dieser Stelle diesen großen Schatz, der ebenfalls auf die mittelalterliche Epoche zurückgeht, zu heben. Ebenfalls konnte nicht auf Redensarten mit Wurzeln im Rotwelsch oder anderen Sprachen gesellschaftlicher Randgruppen eingegangen werden. Sehr viele Wendungen gehen auf biblische Stellen bzw. die schon erwähnte Luther’sche Bibelübersetzung zurück wie Perlen vor die Säue, Zur Salzsäule
erstarren oder Die Hände in Unschuld waschen. Ihnen sind schon eigene Kompendien gewidmet worden. Verzichtet worden ist auch auf Redensarten, die sich mit etwas Nachdenken selbst erklären, wie
    Jemanden matt setzen, Über den Berg sein oder Den Braten riechen.
     
    Viele herkömmliche Redewendungen sind inzwischen durch neue ersetzt worden, denn Deutsch ist eine lebendige Sprache, und Einflüsse aus anderen Sprachen, dem Internet und der populären Massenkultur verändern sie auch heutzutage mehr denn je; besonders die Medien tragen zu dieser Entwicklung bei. So sind in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich auch neue Redensarten wie Auf Konfrontationskurs
gehen, Auf Draht sein, Die gleiche Wellenlänge haben oder Auf dem Schirm haben entstanden. Gleichzeitig fallen viele historische Redewendungen und Ausdrücke dem Wandel der Sprache zum Opfer, und nicht mehr benutzte Redensarten sterben natürlich aus.
     
    B ei der Suche nach Erklärungen von Redewendungen ist übrigens Vorsicht geboten, denn vor allem im Internet schießt die Phantasie bisweilen sehr ins Kraut. Da reimen sich auf einschlägigen Seiten „Nutzer“ oft Bedeutungen zusammen, die manchmal mehr oder weniger aus der Luft gegriffen sind. Aber leider sind auch entsprechende Handbücher nicht immer befriedigend in ihrer Recherche; sie helfen dadurch mit, falsche Informationen zu verfestigen. Deshalb wurde hier auch die Gelegenheit genutzt, einige Wendungen als nicht historisch und ihre üblichen Erklärungen als falsch zu entlarven – die bekanntesten dürften Einen
Zahn zulegen und Die Klappe halten sein. Auch wenn die allenthalben, vor allem in Burgen und Domen kolportierten Erklärungen gerade dieser beiden Redensarten uns schon lieb geworden sind, soll hier der Wahrheit die Ehre gegeben
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