Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gehirn der Galaxis

Das Gehirn der Galaxis

Titel: Das Gehirn der Galaxis
Autoren: Jack Vance
Vom Netzwerk:
oder auf Eis, in Wald oder Stadt, denn die Natur hatte ihn nicht für eine ganz bestimmte Umgebung geschaffen.
    Er wußte nichts von seiner Verletzlichkeit. Logik war seine Umwelt. Das Gehirn sein spezielles Werkzeug.
    Dann kam die entsetzliche Stunde, da die Erde in eine Tasche der Nicht-Kausalität schwamm und sich alle geordneten Spannungen vor Ursache–Wirkung auflösten. Das spezielle Werkzeug war nutzlos. Für die Realität hatte es keine Bedeutung mehr. Von den zwei Milliarden Menschen überlebten nur ein paar – die Irren. Die waren nun die Organismen, die Herren des Gebiets, und ihre Dissonanzen waren den wunderlichen Grillen des Landes angemessen, so daß eine Art sonderbar wilder Weisheit entstand. Oder vielleicht war diese desorganisierte Welt, die ganz losgelöst war von der alten Organisation, ganz besonders empfänglich für Psychokinese.
    Ein paar andere, Relikte genannt, überlebten ebenfalls, aber nur durch eine ganz seltsame Reihe von Umständen. Das waren diejenigen, die am meisten mit der alten kausalen Dynamik aufgeladen gewesen waren. Es blieb genügend davon übrig, um den Stoffwechsel ihrer Körper zu regeln, doch weiter reichte es nicht. Sie starben sehr schnell dahin, denn Vernunft war kein Mittel gegen die Umwelt. Manchmal spuckte und kreischte der Geist, dann rasten sie und jagten über die Ebene.
    Die Organismen beobachteten das ohne Staunen und ohne Neugier. Wie konnten sie auch staunen? Das irre Relikt konnte bei einem Organismus anhalten und versuchen, die Existenz der Kreatur zu verdoppeln. Der Organismus aß einen Mundvoll Pflanzen, und das tat auch das Relikt. Der Organismus rieb sich die Füße mit zerdrücktem Wasser; das tat auch das Relikt, dann, etwas später, starb das Relikt an Gift, an geplatzten Därmen oder an Hautverletzungen, während sich der Organismus im feuchten, schwarzen Gras ausruhte. Oder der Organismus versuchte auch einmal, das Relikt aufzuessen, dann rannte dieses davon in seiner Angst und konnte sich in keiner Ecke der Welt mehr zurechtfinden; es rannte, hüpfte, wühlte sich durch die dicke Luft, die Augen weit aufgerissen, den Mund weit offen, schreiend und keuchend, bis es in einem Tümpel aus schwarzem Eisen zusammenbrach oder in eine Vakuumtasche stürzte, um dort herumzusurren wie eine Fliege in einer Flasche.
    Von den Relikten gab es nurmehr ein paar. Finn, der sich jetzt auf dem Stein über der Ebene zusammenkauerte, lebte mit vier anderen zusammen. Zwei davon waren alte Männer, die wohl bald sterben würden. Auch Finn mußte sterben, wenn er nicht bald Nahrung fand.
    Draußen auf der Ebene setzte sich einer der Organismen, Alpha genannt, nieder, fing eine Handvoll Luft, eine Kugel blauer Flüssigkeit, und knetete sie mit einem Stein zusammen, bis sich die Masse wie warme Karamelmasse zog und wie ein Seil von der Hand fiel. Das Relikt duckte sich nun ganz zusammen. Es ließ sich nicht sagen, welche Teufelei der Kreatur nun einfallen werde. Alle waren unberechenbar. Das Relikt schätzte das Fleisch der Kreaturen, es ließ sich gut essen. Aber auch Relikte wurden von Organismen gefressen, falls sich eine Gelegenheit dazu ergab. Finn war da sehr im Nachteil. Was sie Unsinniges taten, bestürzte ihn. Er versuchte zu entkommen, rannte, und da begann der Terror. Die Richtung, in die er sein Gesicht drehte, war selten jene, in die der Boden mit seinen Reibungsflächen ihn gelangen ließ. Dahinter war der Organismus, unberechenbar und ungebunden wie die Umgebung. Die Unberechenbarkeiten summierten sich manchmal, aber manchmal hoben sie sich auch gegenseitig auf. Im zweiten Fall konnte der Organismus ihn einfangen. Es war alles so unerklärlich. Aber was war eigentlich nicht unerklärlich? Das Wort »Erklärung« hatte keine Bedeutung, keinen Sinn.
    Sie kamen auf ihn zu. Hatten sie ihn gesehen? Er legte sich ganz flach an den trübseligen gelblichen Felsen.
    Der eine Organismus blieb in der Nähe stehen. Er konnte dessen Geräusche hören und versuchte sich noch unsichtbarer zu machen; zudem war er ganz krank vor Hunger und Furcht.
    Alpha sank auf die Knie, ließ sich platt auf den Rücken fallen, die Arme und Beine irgendwie ausgestreckt; der Organismus begrüßte den Himmel mit einer Reihe musikalischer Schreie, Silben und gutturaler Stöhnlaute. Das war eine persönliche Sprache, die er jetzt erst improvisiert hatte.
    »Eine Vision«, rief Alpha. »Ich sehe am Himmel vorbei. Ich sehe Knoten, wirbelnde Kreise. Sie ziehen sich zu harten Punkten zusammen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher