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Das Geheimnis von Vennhues

Das Geheimnis von Vennhues

Titel: Das Geheimnis von Vennhues
Autoren: Holtkoetter Stefan
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doch ergab sich ein seltsam verzerrtes Bild. Es war, als würde er sich selbst auf einem Urlaubsvideo betrachten. Es waren nicht seine Erinnerungen, die dort abgebildet waren. Nicht das gute Gefühl am Strand mit der warmen Brise vom Meer. Stattdessen sah er sich von hinten und von der Seite, seine Hose hatte Flecken, und sein Bauch wirkte von ferne sehr viel größer, als ihm lieb war.
    Einiges in den Berichten hatte er anders in Erinnerung. Die Stimmung in Vennhues war damals aufgeheizt gewesen, und bei den aufgeregten Gesprächen in den Bauernhausküchen und an den Herdfeuern hatte sich vieles ganz anders angehört. So manche Geschichte war ausgeschmückt und mit zusätzlichen Details versehen worden, und Peter Bodenstein war dabei immer deutlicher zu einer Bestie geworden. Doch auch die nüchternen Fakten, erkannte Hambrock nun, hatten ausgereicht, ihn zum Hauptverdächtigen zu machen.
    Als er eine halbe Stunde später die Akte wieder zuschlug, gab es eine Reihe von Aspekten, die für ihn noch nicht ausreichend beantwortet waren. Bevor er nach Vennhues fuhr, wollte er mehr über den Fall wissen. Er wollte sich ein umfassendes Bild machen – als Polizeibeamter. Seine eigenen Erinnerungen durften nicht zu viel Raum einnehmen. Wenn er Peter Bodenstein gegenübertreten wollte, dann musste er neutral sein und den Fall in seiner Gesamtheit kennen.
    Er zog seine Karteikartenbox hervor und suchte eine altvertraute Telefonnummer. Es dauerte, bis sich am anderen Ende der Leitung die tiefe Stimme seines ehemaligen Vorgesetzten meldete.
    »Bernhard«, rief er. »Es ist schön, deine Stimme zu hören. Was macht die Arbeit?«
    »Das ist der Grund, weshalb ich anrufe«, sagte Hambrock und kam gleich zur Sache. »Hast du heute Nachmittag schon etwas vor?«

    Zwei Stunden später betrat Bernhard Hambrock das warme Wohnzimmer Gerhard Bäumers. Frau Bäumer hatte Hambrocks durchnässten Mantel zum Trocknen aufgehängt und versprochen, ihm sofort eine Kanne Tee aufzusetzen, dann hatte sie ihn ins Wohnzimmer geführt.
    »Grässliches Wetter«, begrüßte ihn sein ehemaliger Vorgesetzter und deutete einladend auf einen der Sessel. »Da schickt man normalerweise keinen Hund vor die Tür.«
    »Einen Hund nicht«, sagte Hambrock. »Nur Polizeibeamte.«
    Bäumer lachte herzhaft und setze sich zu ihm. Hambrock kam direkt auf den Fall van der Kraacht zu sprechen, und Bäumer berichtete ausführlich von seinen damaligen Ermittlungen in Vennhues. Irgendwann brachte seine Frau die dampfende Kanne Tee und einen Teller mit Keksen und stellte alles auf den Wohnzimmertisch. Sie strich eines der Deckchen glatt, zupfte ein welkes Blatt von einer Topfpflanze und verließ mit einem letzten Kontrollblick das Zimmer. Kurz nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprang Gerhard Bäumer auf, öffnete mit einer eiligen Bewegung eine Tür in der Schrankwand und holte eine Flasche Rum hervor. Mit einem diebischen Lächeln goss er einen kräftigen Schuss in ihre Tassen und stellte die Flasche zurück in den Schrank.
    »Sie darf das nicht wissen«, sagte er vertraulich. »Der Arzt hat mir das nämlich verboten.«
    Zufrieden griff er nach seiner Pfeife, die im Aschenbecher lag, zündete den Tabak an und nahm das Gespräch wieder auf.
    »Du kannst sagen, was du willst«, murmelte er an dem Mundstück vorbei, »aber Peter Bodenstein ist der Mörder von diesem Jungen. Zu dieser Erkenntnis bin ich 1982 gelangt, und heute sehe ich es noch genauso.« Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und blies den Rauch in die Luft.
    »Das Gericht hat ihn freigesprochen«, gab Hambrock zu bedenken.
    Bäumer winkte ab. »Du weißt doch, wie die Gerichte sind. Wenn du kein Geständnis hast und die Beweiskette hauptsächlich auf Indizien beruht, dann hast du kaum eine Chance, damit durchzukommen. Der Anwalt dieses Jungen war nicht einmal besonders gut, aber dennoch hat er einen Freispruch erzielt.« Mit einem Seufzer beugte er sich zu seiner Teetasse vor. »Dieser Bodenstein hat einfach die Nerven behalten. Er war eiskalt und abgebrüht. Da war kein Geständnis zu holen. Er wusste, dass er damit durchkommen würde.«
    Hambrock blickte zum Fenster. Hinter den schweren Gardinen begann es bereits zu dunkeln. Die Tage wurden kürzer, und das diesige Regenwetter ließ die Dämmerung noch früher hereinbrechen. Auf der einsamen Vorortstraße schien niemand mehr unterwegs zu sein.
    »Du hast die Akte doch gelesen, oder?«, fragte Bäumer. »Dann kennst du die
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