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Das Geheimnis von Vennhues

Das Geheimnis von Vennhues

Titel: Das Geheimnis von Vennhues
Autoren: Holtkoetter Stefan
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die Dauer seines Praktikums in einer Studenten-WG, und Hambrock hatte schon seit längerem den Verdacht, dass man es dort generell mit dem Arbeitsleben nicht so genau nahm. Offenbar hatte Philipp so gut wie keinen Schlaf bekommen, und der Restalkohol aus der vergangenen Nacht steckte ihm noch immer im Blut.
    »Meinetwegen«, sagte Hambrock. »Legen Sie sich erst einmal hin.«
    Er hatte sich bereits wieder abgewandt, als ihm noch etwas einfiel. »Ach, Philipp!«, rief er ihm nach. »Könnten Sie mir vorher noch eine Akte bringen? Danach können Sie machen, was Sie wollen, versprochen.«
    Der Praktikant verzog kurz das Gesicht, sagte aber: »Na klar, kein Problem« und versuchte sich an einem Lächeln.
    Hambrock fand das Aktenzeichen in der Datenbank des Präsidiums.
    »Akte 336/82«, sagte er. »Mordfall Willem van der Kraacht.«
    »Van der Kraacht? Der tote Junge im Moor?«
    Hambrock blickte überrascht auf. »Sie kennen den Fall?«
    »Zufall«, sagte Philipp und grinste breit. »Ich bin drei Tage vor seinem Tod zur Welt gekommen. Meine Mutter hat mir davon erzählt. Der Fall hat damals sehr viel Aufsehen erregt.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie aus der Gegend stammen.«
    »Aus Kleve. Jahrgang zweiundachtzig. Der hat die Besten hervorgebracht!«
    »Die Besten also …« Hambrock sah ihn skeptisch an. »Sie finden den Fall in der Schrankwand links neben dem Fenster zum Parkplatz. Dort müssen die Akten aus den frühen Achtzigern sein.«
    »Waren Sie denn damals schon dabei, Chef?« Philipp Häuser lehnte sich in den Türrahmen und schien sich auf einen gemütlichen Schwatz einrichten zu wollen. »Im gesamten Münsterland durfte damals kein Kind mehr nach Einbruch der Dunkelheit allein aus dem Haus, hat meine Mutter erzählt. Das muss ein Riesenfall gewesen sein. Haben Sie da schon zum Team gehört? Waren Sie auch vor Ort?«
    Hambrock verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. »Philipp, mein Lieber. Was denken Sie eigentlich, wie alt ich bin? Frei heraus damit, scheuen Sie sich nicht.«
    Der Praktikant sah ihn zunächst überrascht, dann ein wenig beschämt an. Schließlich huschte ein unterdrücktes Lächeln über sein Gesicht.
    »Ich bin neununddreißig«, sagte Hambrock. »Sie können sich also ausrechnen, wie alt ich damals gewesen bin. Mit sechzehn werde ich wohl kaum einer der ermittelnden Beamten gewesen sein.«
    »’Tschuldigung, Chef«, murmelte Philipp und wandte sich ab. »Ich glaub, ich guck mal besser nach der Akte.«
    Als er allein war, blickte Hambrock wieder hinaus in den Nieselregen. Er hatte seit Jahren nicht mehr über den Fall Bodenstein nachgedacht. Im Dorf hielten die meisten Peter für schuldig, zumindest war das früher so gewesen. Da war es egal, dass ihn das Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen hatte. In der aufgeheizten Stimmung in Vennhues war dieses Urteil nichts wert gewesen. Sogar Hambrocks Eltern hatten an seiner Unschuld gezweifelt.
    Wärst du nur fortgeblieben, Peter, dachte Hambrock. Diese Rückkehr hättest du uns allen ersparen können.
    In der Bürotür tauchte Philipp Häuser auf. Er trug eine dicke Akte unterm Arm und legte sie auf den Schreibtisch.
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte er. »Ich bin echt todmüde.«
    »Natürlich.« Hambrock zog die Akte zu sich heran und schlug den Deckel auf. »Wir sehen uns dann am Montagmorgen.« Er betrachtete Philipp aus den Augenwinkeln. »Nüchtern«, fügte er hinzu.
    Es sah aus, als wolle der Praktikant etwas erwidern, doch dann überlegte er es sich offenbar anders. Er schlurfte mit unverständlichem Gemurmel aus dem Büro und schloss sorgfältig die Tür.
    Hambrock überflog den Anzeigenvordruck der Akte und blätterte sich durch den Tatortbefundbericht. Erst bei den Polizeifotos hielt er inne und betrachtete sie eingehend. Dort war sie abgebildet, die ausgeblutete Leiche Willem van der Kraachts, wie sie mit weit aufgerissenen Augen unterhalb der Wasseroberfläche trieb. Es waren schreckliche Bilder, doch er kannte die Aufnahmen noch von damals. Der Fall der »Bestie aus dem Moor« war in allen regionalen und überregionalen Zeitungen auf den Titelblättern gewesen. Der Junge, der den Toten gefunden hatte, war beim Spielen im Moor auf die Leiche gestoßen.
    Er blätterte weiter zu den Spurensicherungsberichten und den Zeugenvernehmungen. Es war ein sonderbares Gefühl, sich dem Mordfall aus der Perspektive der Polizei zu nähern. Er kannte die Zeugen und ihre Berichte noch aus seiner Jugend, und
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