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Das Geheimnis des Scriptors

Das Geheimnis des Scriptors

Titel: Das Geheimnis des Scriptors
Autoren: Lindsey Davis
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meinen Kopf wie ein Mann, der einer Opferung beiwohnt. Das verschaffte mir eine gewisse Anonymität. Niemand, der mich als Privatermittler kannte, würde damit rechnen, mich in formeller Kleidung zu sehen, es sei denn, er wusste bereits, dass ich heute bei einer Bestattung gewesen war. Ich marschierte quer über den Rasen auf den Haupttempel in der hinteren Ecke des Komplexes zu.
    Inzwischen war später Nachmittag. Die Sonne stand über dem Tempel und ließ ihn nur als dunklen Umriss erkennen. Hier geriet jeder außer Sichtweite, wurde vor dem Gebäude unsichtbar. Doch wenn jemand von dort in diese Richtung schaute, würde er mich sehen, eine regelrecht angestrahlte Gestalt in einer Toga, die ganz allein über die offene Rasenfläche auf ihn zukam. Falls dort die Banditen lauerten, ahnten sie vielleicht nicht, dass ich immer noch Petros Ersatzschwert unter der Kleidung verborgen trug. Andererseits, wenn sie wussten, dass ich sie verfolgte, könnten sie annehmen, ich sei nicht unbewaffnet. Sie würden sich selber bewaffnet haben. Da sie sich in einem religiösen Komplex befanden, wären auch ihre Waffen verborgen. Jede Menge Banditen könnten dort lauern. Wahrscheinlich kannten sie mich, ohne dass ich sie erkennen würde.
    Ich erreichte den Tempel der Kybele. Diskret durchsuchte ich ihn. Meine Toga trug dazu bei, mich annehmbar zu machen. Die Große Mutter hatte einen rechteckigen Tempel von bescheidenen Proportionen, in dem sie mit ihrer türmchenverzierten Krone ruhte. Sie richtete ihren ruhigen Blick auf mich, als ich in ihr stilles Heiligtum eindrang. In Anwesenheit mächtiger Frauen werden Ermittler zu respektvollen Männern; ich entschuldigte mich dafür, sie gestört zu haben.
    Mit leeren Händen kehrte ich nach draußen zurück. Ungeduldig schüttelte ich meine Toga vom Kopf, um nicht so eingehüllt zu sein, und fuhr mir durch die nach wie vor von meinem unfreiwilligen gestrigen Bad salzverkrusteten Haare. Von diesen grauen Tempelstufen aus waren die Lichtverhältnisse jetzt zu meinem Vorteil. Es hätte ein magischer Moment sein sollen – früher Abend, die Augustsonne noch heiß und einige Stunden vom Untergehen entfernt, der Himmel dunkelblau über mir, die Kraft des Sonnenlichts noch unvermindert, obwohl sich der Tag der Dämmerstunde zuneigte. Die Steine des Tempels strömten Wärme aus. Während ich die Atmosphäre in mich aufnahm und mein Alptraumgefühl wuchs, war ich mir des Meeres direkt hinter mir und der Stadt, die sich zu meiner Linken ausbreitete, durchaus bewusst.
    Viele Menschen, die noch vor wenigen Augenblicken das Heiligtum bevölkert hatten, waren bereits verschwunden. Die Zurückgebliebenen wanderten ruhig umher. Die Musik war verklungen. Innerhalb des Komplexes war es jetzt friedvoll. Geräusche aus der Stadt, dem Hafen und dem nahe gelegenen Tor zum offenen Land schienen aus einer anderen Welt zu kommen. Ich roch wilden Oregano. Möwen schwebten sanft in der Höhe.
    Ich blieb stehen, schaute und lauschte. Meine rechte Hand fand ihren Weg durch die Togafalten zum Schwertgriff.
    Dann, während ich meine Blicke weiterhin über die Umfriedung schweifen ließ und nach jemandem suchte, den ich erkannte, meinte ich schließlich Onkel Fulvius erspäht zu haben. Er befand sich am anderen Ende des Komplexes, bewegte sich entlang des Attis-Heiligtums. Ich sprang von den Stufen des Tempels der Großen Mutter hinab und rannte leichtfüßig durch die langen Kolonnaden.

    Fulvius vollendete seinen Weg um den Schrein. Ich dachte, er hätte das Gebäude betreten, aber als ich es keuchend erreichte, hatte ich dort kein Glück. Ich durchsuchte das Gelände. Diese Ecke des Heiligtums war voller Schlupfwinkel, Brunnenschächte, Altäre und mysteriöser Eingänge. Kultanhänger brauchten keine Kachelschildchen an den Türpfosten, als wären in den Gebäuden Ärzte oder Buchhalter untergebracht. Aber ich konnte nicht feststellen, was das hier wirklich war.
    Eine schauderhafte Möglichkeit gab es. Ich wusste, dass ich sie finden musste. Die Riten der Kybele sind ebenso grässlich wie die des Mithras, und ein Ritus ist sehr ähnlich. Irgendwo in der Nähe musste es ein Taurobolium geben, ein mannshohes Loch im Boden, in das der Novize hinabzusteigen hatte. Dort würde er allein in der Dunkelheit stehen und die grausige Prüfung seiner Hingabe über sich ergehen lassen.
    Das Loch würde sich in einer Art Keller befinden, mit einem Gitter über der unterirdischen Grube. Über dem Gitter würden Priester morgen
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