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Das Geheimnis des Scriptors

Das Geheimnis des Scriptors

Titel: Das Geheimnis des Scriptors
Autoren: Lindsey Davis
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den großen Stier schlachten, der immer noch schwermütig in seinem Pferch brüllte. Sein Blut würde auf den Novizen hinabregnen, der allein im Stockfinstern stand und von Kopf bis Fuß mit der stinkenden Brühe übergossen wurde. Der Ritus, die Novizen in ihren ekligen, mit Stierblut besudelten Gewändern aus der Grube herauszuholen, war besonders abstoßend.
    Ich fand das Taurobolium. An der Rückseite des Attis-Tempels war ein Turm in eine Ecke der Stadtmauer eingebaut worden. Ein Teil davon bildete jetzt einen schmalen Schrein. Fichten warfen wohlriechenden Schatten. Drinnen waren in Nischen Statuen von Kybeles Gefährten aufgestellt, gekennzeichnet durch seine phrygische Zipfelmütze und seine Kiefernzapfen. Das Hauptschiff war bereits von Lampen erhellt, mit Blumen geschmückt und mit Weihrauch parfümiert.
    Sobald ich eintrat, wusste ich, dass dies der Ort war, an den die Illyrier damals die verängstigte Rhodope gebracht hatten. Vor mir waren Stufen, wie sie gesagt hatte, eine kurze Treppe nach unten, auf der sie mit dem Mädchen gerangelt haben mussten, als sie es zwingen wollten, den gewölbten dunklen Rachen des Tauroboliums zu betreten. Initiationen mussten selten sein. Wurde der Schrein nicht benutzt, bot das abgelegene Taurobolium – eine Art grausiger Abfluss oder Wasserdurchlass – ein perfektes Versteck. Die Schreie der Opfer würden ungehört verhallen. Und danach wären die hier gefangen gehaltenen Frauen so traumatisiert, dass ihr zukünftiges Schweigen garantiert war.
    Ich verharrte noch in dem schwach erleuchteten Schrein, als ich meinte draußen jemanden zu hören. Ich war hin- und hergerissen, aber das Taurobolium war näher als der Ausgang, also entschied ich mich dafür. Auf dem Weg hinab musste ich mich tief bücken, um hineinschauen zu können. Weil es zu dunkel war, vermochte ich nichts zu erkennen, wurde allerdings vom schwachen Schein der Lampen hinter mir deutlich umrissen. Vor dem Schrein rief eine Stimme: »Wer ist da?« Ich flitzte die Stufen hinunter. Zu spät hörte ich eine Bewegung, dann packten mich Hände an meiner Kleidung, zogen mich hinab und unter die Erde. Jemand knuffte mich schmerzhaft in die Rippen und brachte mich zum Schweigen. Wir waren zu eng zusammengequetscht, um mein Schwert ziehen zu können. Nicht, dass ich das gewollt hätte. Dieser Jemand bedrohte mich nicht. Zumindest nicht auf die übliche Weise.
    Irgendwie wusste ich, wer hier mit mir zusammen war – Fulvius. Mit dieser Erkenntnis kam ich ganz gut zurecht, bis jemand über uns im Schrein plötzlich eine Metalltür zur Grube zuschlug und uns einsperrte.
    »Marcus, du dämlicher Narr!«, murmelte Fulvius. »Das war verdammt leichtfertig von dir – jetzt sitzen wir hier wirklich fest.«
    Ich weigerte mich, das als meine Schuld zu betrachten, aber was er sagte, war wahr. Unser Gefängnis war feucht, modrig und nicht für zwei gebaut. Wir konnten aufrecht stehen, doch diese Grube war für einen einzelnen Mann gedacht. Siedend heiß fiel mir wieder ein, dass man mir als kleiner Junge geraten hatte, mich von Onkel Fulvius fernzuhalten, weil der keine Kinder mochte. Viele Jahre später war mir klargeworden, dass das die Art der Familie war, auszudrücken, dass er kleine Jungs zu gerne mochte. Nun war ich hier in einer stockfinsteren Grube mit ihm gefangen.
    O Mutter!

LXI
    W ir können zwar nicht viel sehen, aber durch das Gitter kommt wenigstens ein bisschen Licht herein und auch Luft …« Zu meiner Verwunderung schien mein Onkel das Kommando zu übernehmen. Jetzt begann er unsere Chancen auszurechnen. Ich war hier der Ex-Soldat, das war meine Aufgabe. »Er ist allein, und wir sind zu zweit …«
    »Ich habe ein Schwert, aber keinen Platz, es einzusetzen.« Wir standen eng aneinandergedrückt. Fulvius konnte nicht entgehen, dass ich bewaffnet war.
    »Hier unten sind wir ziemlich sicher.« Dieses onkelhafte Geschwätz konnte er sich sparen.
    »Wie schön«, sagte ich sarkastisch. »Irgendein Verrückter hat uns eingesperrt, und wir sitzen hier fest, bis sie morgen mit den quiekenden Novizen kommen.«
    »Hast du Angst, Marcus?«
    »Nur vor dem, was ich gleich herausfinden werde. Ich möchte wirklich wissen«, sagte ich so geduldig wie möglich, »welche Rolle du bei alldem spielst. Caninus meinte, du seist der Illyrier.«
    »Da wurdest du falsch informiert.«
    »Dann stell es richtig.«
    »Hast du ihm geglaubt?«
    »Nun …«
    »Es gibt eine Alternative …«
    Ich kam ihm zuvor: »Der Illyrier
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