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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen
Autoren: Rafik Schami
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der Strafe Gottes. Und sie war die einzige, die am nächsten Tag Durchfall hatte. Sie jammerte, warum Gott ausgerechnet sie bestrafe, obwohl sie kaum gelacht habe. Überhaupt war die Mutter sehr abergläubisch, sie schnitt ihre Nägel nie nachts, damit die Geister sie nicht mit Alpträumen bestraften. Sie kippte kein heißes Wasser ins Waschbecken, ohne vorher den Namen Gottes laut auszurufen, damit sich die Geister, die gerne in den dunklen Wasserrohren hausen, nicht verbrühten und sie nicht bestraften.
    Von nun an durfte Nura nicht mehr mitbeten. Sie musste in ihrem Zimmer bleiben und leise ihre Wünsche aussprechen. Oft lag sie nur auf dem Bett und schaute durch das Fenster zum dunklen Sternenhimmel hinauf.
    Schon früh merkte sie, dass ihr Vater an den Feiertagen von einer sonderbaren Trauer heimgesucht wurde. Er, dessen Worte in der Moschee Hunderte von Männern aufrichteten und den alle Ladenbesitzer auf der Hauptstraße, wenn er vorbeiging, respektvoll begrüßten – manchmal unterbrachen sie sogar ihre Gespräche, um ihn kurz um seinen Rat zu fragen –, dieser mächtige Vater war jedes Jahr nach dem feierlichen Gebet unglücklich. Er ging gebeugt zum Sofa, kauerte sich hin und schluchzte wie ein Kind. Nie erfuhr Nura den Grund.
     
    2.
     
    N achdem Salman in einer kalten Februarnacht des Jahres 1937 unsanft auf die Welt gekommen war, folgte ihm das Unglück lange Jahre treuer als sein Schatten. Damals hatte es die Hebamme Halime eilig gehabt. Faise, die quirlige Frau des Verkehrspolizisten Kamil, hatte sie wegen ihrer Freundin Mariam in der Nacht geweckt, und so kam sie schlecht gelaunt in die kleine Wohnung, und statt der zwanzigjährigen dürren Frau, Mariam, auf der schmutzigen Matratze bei ihrer ersten Geburt Mut zu machen, fauchte sie sie an, sie solle sich nicht so anstellen. Und dann, als wollte der Teufel seine ganze Palette an Boshaftigkeiten auffahren, kam auch noch Olga, die alte Dienerin der reichen Familie Farah. Faise, eine kräftige kleine Frau, bekreuzigte sich, weil sie sich vor Olgas bösem Blick schon immer gefürchtet hatte.
    Das vornehme Anwesen der Farahs lag direkt hinter der hohen Mauer des staubigen Gnadenhofs mit seinen Elendsbehausungen.
    Hier durften Gestrandete aus allen Himmelsrichtungen kostenlos wohnen. Der Hof war früher ein Teil eines gewaltigen Anwesens mit herrschaftlichem Haus und großem Garten gewesen, dazu gehörten auch ein weitläufiges Gelände mit Werkstätten, Ställen, Kornspeichern und Wohnungen für die über dreißig Bediensteten, die für ihren Herrn auf dem Acker, in den Ställen und im Haushalt gearbeitet hatten. Nach dem Tod des kinderlosen Ehepaars erbte der Neffe Mansur Farah, ein reicher Gewürzhändler, Haus und Garten, andere Verwandte wurden mit den zahlreichen Äckern und edlen Pferden noch reicher. Der Hof mit den vielen Behausungen wurde der katholischen Kirche vermacht, mit der Auflage, arme Christen darin aufzunehmen, damit, wie es im Testament pathetisch hieß, »in Damaskus nie ein Christ ohne Dach über dem Kopf schlafen muss«. Und noch bevor ein Jahr vergangen war, hatte der Gewürzhändler eine unüberwindbare Mauer aufbauen lassen, die sein Haus und seinen Garten vom übrigen Anwesen trennte, in dem sich nun arme Teufel einquartierten, bei deren Anblick der feine Herr Brechreiz bekam.
    Die katholische Kirche freute sich über den großen Hof mitten im christlichen Viertel, war aber nicht bereit, auch nur einen Piaster für Reparaturen zu zahlen. So verkamen die Wohnungen immer mehr und wurden von den Bewohnern mit Blech und Lehm, Karton und Holz notdürftig repariert.
    Man gab sich Mühe, das Elend mit bunten Blumentöpfen ein wenig zu retuschieren, doch die Not mit ihrem hässlichen Gesicht lugte aus allen Ecken.
    Der große Hof lag zwar in der Abbaragasse, nahe dem Osttor der Altstadt, doch er blieb all die Jahre isoliert wie eine Insel der Verdammten. Und obwohl das Holztor von den armen Bewohnern Stück für Stück verheizt wurde und schließlich nur noch der offene steinerne Bogen blieb, ging kein Bewohner der Gasse freiwillig zu den Armen hinein. Sie blieben ihnen über all die Jahre fremd. Der Gnadenhof erschien wie ein kleines Dorf, das durch einen Sturm von seinem angestammten Platz am Rande der Wüste gerissen und mit seinen Bewohnern samt Staub und mageren Hunden in die Stadt geweht worden war.
    Ein entfernter Cousin half Salmans Vater, ein großes Zimmer zu bekommen, als dieser auf der Suche nach Arbeit aus Chabab, einem
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