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Das Geheimnis des Goldmachers

Das Geheimnis des Goldmachers

Titel: Das Geheimnis des Goldmachers
Autoren: Peter Hereld
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Einziger, verlässt die Kirche. Der Nachbar rechts von mir bekreuzigt sich,
zu meiner Linken beginnen drei Kinder leise ein Gebet.
    Doch Nikolaus scheint von all dem
nichts mitzubekommen. Wie in Trance hält er unbeirrt inne.
    Und wieder ändert sich die
Stimmung, Verunsicherung und Ärger weichen einer feierlichen Erhabenheit.
Langsam, aber stetig wird es immer leiser im Kirchenschiff, bis schließlich
keine, und ich meine wirklich keine, Stimme sich mehr erhebt.
    Könnt Ihr Euch das vorstellen, wie
es ist, wenn fünf- oder sechstausend Leute dicht beieinander gepfercht sind und
niemand sagt ein Wort?
    Diesen Moment der Stille werde ich
meinen Lebtag nicht vergessen, er war erfüllt von einer religiösen
Spiritualität, wie ich sie nie zuvor und seitdem nie wieder erlebt habe.
    Ich beobachtete Nikolaus.
    Er, der zuvor, ich
schwör’s, noch nicht mal mit einem Lid gezuckt hat, senkte langsam die Arme,
dann schaute er ringsumher. Sein Gesichtsausdruck, wie soll ich ihn beschreiben?
Was spiegelte sich alles darin wieder? Genugtuung vielleicht, jedoch nicht jene
bösartige Form, die den Sieger gegenüber dem Unterlegenen überkommt, sondern
einfach nur die Freude, etwas erreicht zu haben, wonach es einem zutiefst
verlangt. Freude, ja, Freude ist der rechte Ausdruck, beseelt von einer
unbeirrbaren Frömmigkeit und dem unbedingten Glauben daran, besser noch, der
Gewissheit, Gott als Werkzeug dienen zu dürfen. Dieser Nikolaus war ein
Heiliger, in jenem denkwürdigen Moment stand dies unstrittig für mich fest, und
ich wäre für ihn bis ans Ende der Welt und darüber hinaus gegangen, so er es
denn von mir verlangt hätte.
    Sodann erhob der Knabe seine
Stimme.
    Die Stimme eines Engels
mochte nicht feiner und lieblicher klingen. Doch so hell und klar auch der Ton
aus seinem Munde, so fest und ehern die Worte, die er sprach. Jeden zog er
damit in seinen Bann. Jene, die bereits beschlossen hatten, ihm zu folgen, aber
auch die anderen, die ihn einen Scharlatan und Verführer nannten, keiner konnte
sich ihm entziehen.
    Ich will nun versuchen, seine
Worte so getreu wie eben möglich wiederzugeben. Es sollte mir bestens gelingen,
denn obwohl schon mehr als zwei Dekaden seither vergangen sind, klingen sie mir
noch heuer im Ohr.
    Nachdem Nikolaus also seine Arme
gesenkt und lange ins weite Rund des Kirchenschiffs geblickt hatte, sprach er
jene Worte, die mein und das Leben so vieler anderer auf immer verändern
sollten:
    »Ihr meint, ihr seid gekommen, um
mich zu sehen? Nein, wahrlich, ich sage euch, der Herr war’s, der eure Schritte
hat gelenkt!
    Er führte euch in sein Haus, ob
ihr’s nun wolltet oder nicht, zu hören seine Worte aus dem Munde eines Kindes.
Denn nicht meine Worte sind’s, die ihr hört, Gott selbst spricht zu euch und
ich bin nur sein Werkzeug, so wie auch ihr seines werdet, wenn ihr mich
begleitet auf seinem gerechten Weg. Ja, und auch du bist berufen, du, der mich
eben noch lauthals einen Ketzer hießest«,
    Nikolaus zeigte auf einen Bärtigen
unweit des Domportals, der beschämt seinen Kopf senkte.
    »Und ihr, die ihr mir
zuriefet, ich solle euch die Kinder nicht wegnehmen – nicht ich bin es, der sie
drängt, nein, aus freien Stücken kommen sie, um Gottes Werk zu tun. Doch lasst
euch beruhigen, denn sie werden bald zurück sein, und Gottes Segen wird sie
begleiten, von heute an bis ans Ende der Zeit.
    Woher ich das alles weiß, fragt
ihr euch?
    Nun, gern will ich’s euch
verraten!«
    Kurz hielt er inne, und mit ihm
die vielen tausend Seelen, die seinem Ruf gefolgt waren. Und wieder jener
erhabene Moment der Stille inmitten einer Menschenflut, die weiter als das Auge
reichte.
    Ein letzter Blick von
ihm ins Kirchenrund, dann fuhr er fort:
    »Nicht lange ist’s her,
keine drei Wochen, da begleitete ich meinen Vater auf die Jagd. Es war jener
wundersame Abend, an dem am Firmament Blitze ohne Donner zuckten, sicher
entsinnt ihr euch des beängstigenden Leuchtens, welches viele als Vorboten des
Jüngsten Gerichts deuteten. Ich jedenfalls hatte nur noch Augen für das
mystische Treiben am Himmel, und wie’s so kommt, plötzlich war ich allein, kein
Vater und keine Jagdgesellschaft weit und breit, wir hatten einander verloren.
Ich zitterte und jammerte, wie ein Junge meines Alters zittert und jammert in
solch einer Lage, denn immerhin dämmerte es schon und ich war mitten im Wald,
fern der Stadt. Da kam plötzlich ein Mann auf mich zu, und ich dachte schon, es
wär um mich geschehen. Doch je näher er kam,
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