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Das Geheimnis des Goldmachers

Das Geheimnis des Goldmachers

Titel: Das Geheimnis des Goldmachers
Autoren: Peter Hereld
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vollbringen
können?
    Kurz vor dem Betreten des Domes
begann ich, um mein Leben zu fürchten, da die Menschenmassen, aus allen Teilen
Cöllns auf den Dom zuströmend, nun hier vor dessen Toren aufeinandertrafen.
Seinerzeit trug ich den Namen Robert der Schmale durchaus noch zu Recht, und es
waren freilich nicht nur Kinder, die Nikolaus zuhören wollten.
    Schließlich doch noch wohlbehalten
im bereits zu so früher Morgenstunde völlig überfüllten Kirchenschiff
angekommen, drängte ich mich fest an eine Mauer unweit der Apsis zu Ehren des
Erzbischofs Hildebold, dem wohl bedeutendsten Stifter des Doms. Nur eine
Steinwurfweite vom Altar der Heiligen Drei Könige entfernt und mit einer Wand
im Rücken konnte ich mich einigermaßen sicher wähnen in diesem von Augenblick
zu Augenblick größer und unübersichtlicher werdenden Tohuwabohu. Erst nachdem
ich dem immer drängender werdenden Klagen meines Magens Abhilfe geleistet hatte
mit dem wenigen, was ich aus der Speisekammer des Klosters mitzunehmen gewagt
hatte, wurde mir bewusst, dass mir zwar Ort und Tag von Nikolaus’ Rede bekannt
war, beileibe aber nicht die Zeit. So also, schwante mir plötzlich, könnte es
durchaus geschehen, dass ich bis zur Abenddämmerung hier ausharren müsste. Nun,
letztlich war es einerlei, konnte doch mein Platz kaum besser gelegen sein. Ein
Blick zum Portal im St.-Galler-Ringatrium zeigte mir, dass niemand mehr
eingelassen wurde, da der Dom, bestenfalls für tausend Besucher angedacht,
bereits um ein Vielfaches gefüllt war. Schon drängten sich die Menschenmassen
auf dem Vorplatz außerhalb seiner Mauern.
    Meine Lider wurden immer schwerer,
schließlich hatte ich die Nacht zuvor kein Auge zugetan. Ich versuchte zwar
noch, gegen den Schlaf anzukämpfen, doch diese Schlacht focht ich letztlich
ohne Aussicht auf Erfolg. Nun, etwas Gutes hatte die Fülle ringsumher – ich
konnte nicht umfallen.

     

     

     

     

Nikolaus von Cölln
    Die Sonne fiel
bereits durch die Fenster des Westflügels, als die allgegenwärtige Unruhe zu
einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll, der den Dom in seinen Grundfesten
erbeben ließ. Nachdem ich den Vormittag so gut es ging schlafend und die
restliche Zeit dösend zugebracht hatte, war ich nun wieder hellwach. Eine
Prozession, aus der ein weißes Kreuz zum Gewölbehimmel gereckt wurde, bewegte
sich auf mich oder vielmehr auf den Altar der Heiligen Drei Könige zu, vor ihr
teilten sich die Menschenmassen wie seinerzeit das Meer vor Mose. Am Altar
angekommen, löste sich ein kleiner, zierlicher Knabe aus der Gruppe und begab
sich zur Kanzel. Vor dem gewaltigen Gerokreuz hielt er inne, kniete nieder und
bekreuzigte sich, dann ging er den Rest des Weges allein. Wahrhaftig, es war
Nikolaus von Cölln, der jetzt keine zwanzig Fuß von mir stand, jener Nikolaus,
der eine ganze Stadt in Aufruhr zu versetzen vermochte, ein Knabe noch, allem
Anschein nach gar jünger als ich, und doch schon in aller Munde.
    Er schaute in die Menge, ernst,
keine Miene preisgebend, dann hob er seine Arme in die Höhe. Die Menge tobte,
einige schrien wie toll seinen Namen, andere wiederum lästerten, doch er stand
einfach nur da in seinem weißen, einfachen Hemd und gab kein Wort von sich. Was
sich danach ereignete, löst bei mir noch heute eine Gänsehaut aus, und
tatsächlich, jetzt, da ich nun in Gedanken wieder an jenem Ort bin, die letzten
zweiundzwanzig Jahre wie weggewischt, merke ich, wie das Kribbeln mir erneut
den Rücken hinabzieht.
    Wohlgemerkt, da steht also jener
Knabe, die Arme gen Himmel gereckt, und sagt kein Wort.
    Tausend Münder im Kirchenschiff
schreien durcheinander, preisen ihn wie einen neuen Heiligen, nennen ihn einen
Propheten …
    …, doch er verharrt weiter wortlos
in jener Geste.
    Andere Tausend wiederum schimpfen
ihn einen Häretiker, einen Ketzer …
    …, doch auch ihnen verweigert er
eine Antwort. Weiterhin steht er starr wie eine Statue, wort- und bewegungslos.
Und je länger er dort verharrt, meine ich zu sehen, wie sein weißes Hemd und
sein langes, hellblondes Haar von innen heraus zu leuchten beginnen.
    Die Stimmung in der Kirche dreht
sich, Unmutsbekundungen aus beiderlei Lagern werden laut, man will endlich
etwas von ihm hören.
    Doch nach wie vor schweigt er, und
das ihn umgebende Fluidum wird immer deutlicher sichtbar, nun scheinen auch
andere sein Leuchten wahrzunehmen.
    Dem Schreien Einzelner folgt das
Gemurmel vieler, einige sind verunsichert, viele verärgert, doch keiner, nicht
ein
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