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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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entgegnete Lederer knapp und verließ hinter dem Arzt die Leichenhalle.
    Als sich die beiden Herren der Friedhofspforte näherten, kam ihnen die Hurenkönigin entgegen und stellte sich ihnen resolut in den Weg.
    »Nun, was ist jetzt? Ich erbitte umgehend einen ausführlichen Rapport«, forderte sie, während sie ihre Arme in die ausladenden Hüften stemmte und die beiden Männer abwechselnd mit unbeugsamen Blicken fixierte.
    Doktor Stefenelli fühlte sich augenscheinlich nicht bemüßigt, daraufhin etwas zu erwidern. Er setzte eine unbeteiligte Miene auf und überließ die Beantwortung seinem Begleiter, der sich vor Unbehagen wand. Dann setzte er zu einer knappen amtlichen Erklärung an:
    »Die soeben erfolgte Leichenschau der städtischen Hübscherin Hildegard Dey hat ergeben, dass dieselbe eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Anhand der blauen Male im Kehlkopfbereich muss davon ausgegangen werden, dass sie erwürgt wurde. Wir werden der Sache nachgehen und versuchen, den Täter ausfindig zu machen, was indessen nicht einfach sein wird. Bei den zahlreichen Männerbekanntschaften, die die Ermordete ja aufgrund ihres … Gewerbes hatte, wird man bei der Tätersuche wohl, wie soll ich sagen: vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen.« Den letzten Satz hatte der Untersuchungsrichter mit einem Grinsen von sich gegeben, was die Hurenkönigin mit tiefem Ingrimm erfüllte.
    »Wenn man den Wald nicht sehen will , mag das vielleicht zutreffen, Herr Richter«, erwiderte die Zimmerin in schneidendem Tonfall. »Ich hingegen kenne einen jeden, der bei uns im Frauenhaus ein und aus geht, Anwesende nicht ausgenommen. Ich erinnere mich an nahezu jedes Gesicht, das ich in des Rates freien Häusern jemals gesehen habe. Wenn es Euch weiterhilft, komme ich gerne zu Euch in die Amtsstube und nenne Euch die Namen aller, die zu Hildegards Galanen gehörten. Es sind in der Tat nicht wenige. Und dem einen oder anderen wird es auch nicht sonderlich gefallen, wenn er dabei genannt wird.« Sie warf dem Stadtarzt einen bezeichnenden Blick zu. »Es ist eigentlich auch nicht meine Art, die Namen unserer Kundschaft preiszugeben. Aber in diesem Fall, da es um die heimtückische Ermordung einer Gildeschwester geht, werde ich es tun.«
    »Von mir aus, kommt vorbei, wenn Ihr Euch davon einen Nutzen versprecht«, presste Lederer hervor. Er wollte sich schon zum Gehen wenden, als ihn die Hurenkönigin erneut ansprach:
    »Und was ist mit dem roten Stofffetzen, den ich Euch übergeben habe? Habt Ihr Euch dazu schon ein paar Gedanken gemacht? Oder meint Ihr am Ende gar, es lohnt der Mühe nicht, weil man ja ohnehin vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht?«
    »Nein, nein, dem werden wir schon noch nachgehen«, murmelte Lederer.
    »Das will ich auch schwer hoffen. Und seid Euch gewiss: Ich werde Euch dabei über die Schulter blicken! Morgen bin ich bei Euch und nenne Euch ein paar Namen«, zischte die Hurenkönigin Lederer zu, der unwillkürlich vor ihr zurückwich wie ein verängstigtes Kaninchen vor der Schlange.
    Mit belegter Stimme stieß er hervor: »Morgen ist Sonntag, am Montag ist Allerheiligen und am Dienstag Allerseelen. Kommt meinethalben am Mittwoch, da bin ich wieder im Dienst.« Dann drehte er sich um und strebte endgültig dem Ausgang zu.
    »Was ist denn das für eine Arbeitsmoral? Immerhin geht es darum, einen Mord aufzuklären. Um einen Mörder zu suchen, sollte man auch am Feiertag arbeiten!«, rief ihm die Zimmerin empört hinterher.
    *
    Wie im Leben, so waren auch die Menschen im Tode nicht gleich. Wurden wohlhabende Tote in ein feines Totengewand gekleidet, so reichte es bei anderen noch nicht einmal für ein letztes Hemd. Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, wurden die Armen von der Totenwäscherin oder einer Spitalmagd in ein Leichentuch eingenäht.
    Die sterblichen Hüllen von Begüterten hingegen bestattete man in kunstvollen Holzsärgen, Vornehme sogar in Sarkophagen. Die Besitzlosen trug man auf dem wiederverwendbaren Totenbrett zu Grabe, das der Stadt gehörte.
    Selbst auf dem Friedhof war die Gemeinschaft der Toten ähnlich gegliedert wie die der Lebenden: Arme und Reiche hatten jeweils separate Begräbnisplätze, und das galt erst recht für die Schandbaren und Verachteten. War ihnen im Leben schon ein Platz am Rande der Gesellschaft und meist auch am Rande der Stadt zugewiesen, so setzte sich dies im Tode noch fort. Des Rates freie Töchter und andere in niederen Diensten Stehende hatten ihre vorgeschriebenen
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