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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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Plätze im abgelegenen nördlichen Bereich, dort, wo der Peterskirchhof mit seinen vielen Obstbäumen und dem grasbewachsenen Boden einem verwilderten Garten glich.
    In Frankfurt konnten es sich nur die Wohlhabenden leisten, in Einzelgräbern beigesetzt zu werden. Dort sollten die Toten so tief in der Erde zu liegen kommen, wie sie groß waren, was dem Totengräber einiges an Arbeit abverlangte. Bei armen Leuten dagegen musste er sich weniger Mühe machen. Ihre Leichen wurden in einen großen Graben gepackt und mit etwas Erde bedeckt. Die Friedhofsvorschrift bei einem Armenbegräbnis bestimmte, dass das Erdreich den Leichnam gerade mal eine Elle hoch bedecken musste.
    Auch die Kuhle, die der Totengräber für die sterblichen Überreste der ermordeten Hübscherin ausgehoben hatte, war nicht sehr tief. Im Erdreich waren noch die Knochen und Leichenteile anderer Verstorbener zu erkennen. Der Totengräber und ein Gehilfe, die das Totenbrett in Ermangelung anderer Leichenträger von der Totenkapelle an der Westmauer bis zum Armenbezirk getragen hatten, kippten den in ein Leinentuch eingenähten Leichnam ohne großes Zeremoniell in die Grube. Der Pfarrer der Peterskirche, der zu diesem Anlass auf Weihrauch und andere kostspielige Devotionalien verzichtet hatte, besprengte die Tote mit Weihwasser, verlas, wie bei Hurenbegräbnissen üblich, das Gleichnis »Jesu Salbung durch die Sünderin« aus dem Lukas-Evangelium, sprach noch ein paar knappe, vorwurfsvolle Worte über Buße und Vergebung und warf die erste Schaufel Erde auf die Tote.
    Als Katharina den Friedhof betrat, war die kurze kirchliche Zeremonie bereits vorüber und die städtischen Hübscherinnen und ihre Vorsteherin Ursel Zimmer drängten sich um das Grab ihrer ermordeten Gildeschwester.
    Als die Huren die Anwesenheit der Totenwäscherin bemerkten, begrüßten sie Katharina mit großem Respekt. Vor allem die Hurenkönigin schien es ihr hoch anzurechnen, dass sie zu der Beisetzung gekommen war, und dankte ihr im Namen der Hurengilde für ihr Erscheinen.
    Katharina stellte sich etwas abseits, um den Trauernden nicht im Wege zu stehen, und ließ ihre Blicke verstohlen über die anwesenden Hübscherinnen gleiten. In ihrer Nähe stand eine junge Frau, die von auffallender Schönheit und Grazie war, sie konnte aber auch ältere Frauen ausmachen, die eher gewöhnlich und verlebt wirkten. Alle waren wie stets in ihre grelle Hurentracht gekleidet, denn den Hübscherinnen war es selbst zu diesem Anlass verboten, Trauerkleidung anzulegen. Die Huren hielten Zitronen oder Pomeranzen in den Händen, um sie der Verstorbenen nach der Aussegnung ins Grab zu werfen. Mit den kostspieligen Früchten wollten sie ihre Wertschätzung gegenüber der toten Gildeschwester zum Ausdruck bringen. Der Reihe nach traten sie an das offene Grab. Die Frauen waren tief ergriffen und weinten, auch der Hurenkönigin rannen die Tränen über die Wangen.
    Obgleich Katharina die Verstorbene nicht gekannt hatte, war sie selbst den Tränen nahe. Es tat ihr einfach leid, dass die junge Frau so früh hatte sterben müssen. Schon wollte sie sich unauffällig zurückziehen und die Trauergemeinde verlassen, als jemand sie von hinten sachte am Mantel fasste. Sie drehte sich um und gewahrte die Hurenkönigin.
    »Jungfer Bacherin, wollt Ihr uns nicht die Ehre erweisen und dem Leichenschmaus beiwohnen? Wir wollen im Frauenhaus unserer Schwester gedenken«, erkundigte sie sich mit bittendem Unterton. Katharina willigte dankend ein und hielt sich wartend im Hintergrund.
    Plötzlich stieß eine der Huren einen gellenden Schrei aus und deutete entsetzt auf etwas, das offenbar auf der Erde lag. Andere stimmten in schriller Panik ein, Rufe wie »Wiedergänger« und »Untote« waren zu vernehmen, und selbst die Hurenkönigin war vor Entsetzen kreidebleich geworden.
    Katharina trat näher, um die Ursache des Schreckens genauer in Augenschein zu nehmen, und gewahrte eine halbverweste Hand, die neben der ausgehobenen Grube aus dem Erdreich ragte. Fürwahr ein schrecklicher Anblick, der selbst furchtlose Gemüter das Grauen lehren konnte!
    »Es bewegt sich!«, schrie eine der Huren panisch. Tatsächlich war die Hand wieder zur Hälfte in der Erde verschwunden, so, als wäre sie von dem Toten selbst zurückgezogen worden.
    Katharina, der als Totengräbertochter solche schaurigen Phänomene bekannt waren, versuchte, die Hübscherinnen zu beschwichtigen: »Ruhig Blut, das ist nichts Schlimmes. So etwas kommt immer wieder mal
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