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Das Geheimnis Der Schönen Toten

Das Geheimnis Der Schönen Toten

Titel: Das Geheimnis Der Schönen Toten
Autoren: Ellis Peters
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nachdem Bitterkeit und Leid vergangen waren.
    Und es erschien gar nicht seltsam, daß Ruald keine große Überraschung gezeigt hatte, als er erfuhr, daß dieses umgebettete heimatlose Erdenkind letztlich doch seine Frau war, und er hatte ohne Verwunderung akzeptiert, daß Sulien aus mißverstandener Sorge um einen alten Freund eine falsche und törichte Geschichte erfunden hatte, um ihren Tod zu widerlegen. Er hatte auch nicht gegen die Wahrscheinlichkeit rebelliert, daß er nie erfahren würde, wie sie gestorben oder wie es dazu gekommen war, daß man sie heimlich und ohne Riten begraben hatte, bevor man sie an diesem angemesseneren Ort zur Ruhe gebettet hatte. Rualds Gelübde des Gehorsams ging wie alle seine Gelübde bis zur höchsten Pflichterfüllung, bis zu völliger Selbstaufgabe. Wie immer entschieden wurde, war es für ihn am besten. Er stellte nichts in Frage.
    »Es ist sonderbar, Cadfael«, sagte er und blickte nachdenklich auf das frische Gras, das Generys bedeckte, »daß ich jetzt ihr Gesicht wieder klar vor mir zu sehen beginne.
    Als ich in den Orden eintrat, war ich wie ein Mann im Fieberwahn. Ich war mir nur dessen bewußt, was ich ersehnt und gewonnen hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie sie aussah. Es war, als wären sie und mein ganzes Leben davor aus der Welt verschwunden.«
    »Das ist immer so, wenn man in ein zu intensives Licht starrt«, sagte Cadfael kühl, denn er hatte sich nie verwirren lassen. Was er getan hatte, hatte er bei vollem Verstand getan, hatte seine Wahl, die keine leichte Wahl gewesen war, bewußt getroffen, war auf breiten nackten Füßen, die fest auf der Erde standen, zu seinem Noviziat gegangen und hatte sich nicht auf Wolken voller Seligkeit dorthin tragen lassen. »Auf gewisse Weise ein sehr schönes Erlebnis«, sagte er, »aber schlecht für das Augenlicht. Wenn man zu lange hineinstarrt, kann man erblinden.«
    »Aber jetzt sehe ich sie deutlich vor mir. Aber nicht so, wie ich sie zuletzt sah, nicht zornig oder verbittert. Vielmehr so, wie sie in all den Jahren, in denen wir zusammen lebten, immer war. Und jung«, sagte Ruald staunend.
    »Alles, was ich früher einmal wußte und tat, kommt mit ihr wieder. Ich erinnere mich an das Häuschen, den Brennofen und all die kleinen Dinge, die im Haus ihren Platz hatten. Es war ein sehr angenehmer Ort, wenn man von dem Hügelkamm auf den Fluß und das andere Ufer blickte.«
    »Er ist es noch«, erwiderte Cadfael. »Wir haben das Feld gepflügt und die Sträucher oben am Knick gestutzt, und es könnte sein, daß du die Feldblumen und die Schmetterlinge um die Mittsommerzeit vermißt, wenn die Wiesengräser reifen. Aber dafür wird jetzt das junge Grün in den Furchen wachsen, und die Vögel in den Bäumen des Knicks sind da wie eh und je. Ja, ein sehr schöner Ort.«
    Sie gingen durch das nasse Gras zum Stiftshaus zurück, und die Abenddämmerung um sie herum war von einem weichen Blaugrün, das feucht in den halb entlaubten Ästen der Bäume hing.
    »Sie hätte in dieser geweihten Erde nie eine Ruhestätte gefunden«, sagte Ruald aus dem Schatten seiner Kapuze, »wenn man sie nicht auf Land ausgegraben hätte, das der Abtei gehört, und wenn sie einen anderen Gönner gefunden hätte, der sich um ihren Leichnam hätte kümmern können.
    So wie der heilige Illtud seine Frau in die Nacht hinausjagte, obwohl sie nichts Unrechtes getan hatte, so wie ich Generys im Stich ließ, ohne daß sie etwas verschuldet hatte, hat Gott sie am Ende in die Obhut des Ordens zurückgebracht und ihr ein beneidenswertes Grab verschafft. Vater Abt hat empfangen und gesegnet, was ich mißbrauchte und nicht zu schätzen wußte.«
    »Vielleicht ist es so«, sagte Cadfael, »daß unsere Gerechtigkeit nur ein Spiegelbild der Wirklichkeit sieht. Sie sieht links, wo rechts sein sollte, das Böse spiegelt sich als Gutes wider, Gutes als Böses, dein Engel als ihr Teufel. Aber die Gerechtigkeit Gottes macht keine Fehler, wenn sie sich nur Zeit läßt.«
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