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Das Geheimnis Der Schönen Toten

Das Geheimnis Der Schönen Toten

Titel: Das Geheimnis Der Schönen Toten
Autoren: Ellis Peters
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Euch bleibt noch Sulien.«
    »Und Pernel«, fügte Donata hinzu.
    »Und Pernel. Ja, sie kennt schon die halbe Wahrheit. Was werdet Ihr ihnen sagen?«
    »Die Wahrheit«, sagte sie mit fester Stimme. »Wie sollten sie sonst je zur Ruhe kommen können? Sie verdienen es, die Wahrheit zu hören, und können sie ertragen. Aber nicht mein älterer Sohn. Laßt ihm seine Unschuld.«
    »Wie wollt Ihr ihm diesen Besuch befriedigend erklären?« fragte Hugh, der ein praktischer Mann war. »Weiß er überhaupt, daß Ihr hier seid?«
    »Nein«, gestand sie mit ihrem matten Lächeln, »er war schon früh auf den Beinen und draußen auf den Feldern. Er wird mich ohne Zweifel für verrückt halten, aber wenn mein Zustand bei der Rückkehr nicht schlimmer ist als bei meinem Aufbruch, wird es nicht schwer sein, ihn damit auszusöhnen. Jehane weiß Bescheid. Sie hat versucht, mich davon abzubringen, aber ich ließ mich nicht beirren, so daß er ihr keinen Vorwurf machen kann. Ich sagte ihr, ich hätte vor, hier am Reliquienschrein der heiligen Winifred zu beten. Und das möchte ich mit Eurer Erlaubnis auch tun, Vater, bevor ich zurückkehre. Falls«, fügte sie hinzu, »ich zurückkehren darf?«
    »Was mich betrifft, ja«, erwiderte Hugh. »Und damit Ihr bald wieder aufbrechen könnt«, sagte er und erhob sich, »werde ich jetzt gehen und Euch Euren Sohn herbringen, wenn der Herr Abt einverstanden ist.«
    Er harrte auf die Zustimmung des Abts, die lange auf sich warten ließ. Cadfael konnte zumindest etwas davon ahnen, was in jenem strengen und aufrechten Gemüt vorging. Ein Handel um Leben und Tod ist nicht sehr weit von Selbstmord entfernt, und die Verzweiflung, die es mit sich bringen kann, daß man eine solche Wette akzeptiert, ist in sich schon eine Todsünde. Doch die tote Frau suchte das Gemüt mit Mitleid und Schmerz heim, und die lebende saß hier vor seinen Augen, unerschütterlich stoisch in ihrem endlosen Sterben, und hielt unerbittlich an der Strafe fest, die sie sich für den Fall des Verlusts ihrer Wette selbst auferlegt hatte.
    Das Urteil eines Gerichts mußte genügen, nämlich des Jüngsten, und dessen Tag war noch nicht gekommen.
    »So sei es!« sagte Radulfus schließlich. »Ich kann weder vergeben noch verdammen. Es mag sein, daß die Gerechtigkeit schon selbst ihr Gleichgewicht hergestellt hat, doch dort, wo es keine Gewißheit gibt, muß sich das Gemüt dem Licht und nicht dem Schatten zuwenden. Ihr seid selbst Eure Buße, meine Tochter, wenn Gott Buße fordert. Für mich bleibt hier nichts zu tun außer zu beten, daß alles, was noch bleibt, für die Gnade zusammenwirken möge. Laßt also kein Wort mehr darüber verlauten, außer zu diesen wenigen, die um ihres eigenen Seelenfriedens willen das Recht haben, alles zu erfahren. Ja, Hugh, geh und hol den Jungen, wenn du willst, und die junge Frau, die, wie es scheint, ein so willkommenes Licht auf diese schmerzlichen Schatten geworfen hat. Und, Madame, wenn Ihr geruht und hier in meinem Haus gegessen habt, werden wir Euch auf dem Weg in die Kirche zum Altar der heiligen Winifred behilflich sein.«
    »Und ich werde dafür Sorge tragen«, sagte Hugh, »daß Ihr sicher nach Hause kommt. Ihr tut, was für Sulien und Pernel richtig und notwendig ist. Vater Abt, da bin ich sicher, wird das tun, was für Bruder Ruald richtig und notwendig ist.«
    »Das werde ich übernehmen«, sagte Cadfael, »wenn ich darf.«
    »Mit meinem Segen«, sagte Radulfus. »Geh, such ihn nach dem Essen im Speisesaal auf und laß ihn wissen, daß Generys' Geschichte in Frieden endet.«
    All das taten sie, noch bevor der Tag zu Ende ging.
    Sie standen unterhalb der hohen Mauer des Friedhofs in der entlegensten Ecke, wo einfache Laienpatrone sowie Haushalter und gute Diener der Abtei einen Ruheplatz gefunden hatten. Unter einem niedrigen Hügel, der sich noch nicht gesetzt hatte und noch grünte, lag die nach dem Tod verlassene und verwaiste Frau, der benediktinisches Mitgefühl eine letzte Ruhestätte gegeben hatte.
    Cadfael war nach dem Abendgebet mit Ruald hinausgegangen. Jetzt standen sie in dem leichten Regen, der im Gesicht kaum mehr war als ein waberndes, kühles und stummes Nebelnässen. Es würde nicht mehr lange hell bleiben. Das Abendgebet fand schon um seine Winterstunde statt, und sie waren jetzt allein hier im Schatten der Mauer in dem feuchten Gras, um sie herum der erdige Geruch welkenden Laubs und herbstliche Melancholie.
    Eine Melancholie ohne Schmerz. Ein Genuß für das Gemüt,
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