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Das Geheimnis der Mondsänger

Das Geheimnis der Mondsänger

Titel: Das Geheimnis der Mondsänger
Autoren: Andre Norton
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Grasbüscheln.
    Es war ein trostloses Gebiet. Die monumentale Einsamkeit schreckte Leben unserer Art ab. Es war, als hätte jemand an dieser Stelle das Knochengerüst Yiktors freigelegt.
    Und doch gab es hier Leben. Je tiefer wir in diese Wildnis ritten, desto häufiger sahen wir Spuren von Wagen und Reitkasi.
    Wir standen wie unter einem Bann, denn wir sprachen nicht miteinander, und ich hatte auch nicht den Wunsch, in die Ebene zurückzukehren und die Geschäfte zu erledigen, die mir vorher so dringend erschienen waren. Die Nacht brach herein. Hin und wieder stiegen wir ab, ließen unsere Kasi rasten und aßen etwas. Doch nach kurzer Pause ging es jedesmal wieder weiter.
    Im Morgengrauen führte unser Weg zwischen zwei aufragenden Klippen hindurch. Irgendwann in grauer Vorzeit mußte das das Bett eines Stromes gewesen sein. Ich sah Sand und Kies und abgeschliffene Felsblöcke, aber nichts Lebendiges, nicht einmal einen verdorrten Grashalm. Und das Flußbett brachte uns in eine riesige Mulde, die ebenfalls von Bergzacken eingerahmt war. Wenn wir über einen ehemaligen Fluß hergekommen waren, so sahen wir jetzt einen ausgetrockneten See vor uns.
    Hier hatte zum erstenmal der Mensch oder irgendeine andere intelligente Rasse die Wildnis geformt. Ich sah Höhleneingänge in den Felswänden, und an ihren Rändern waren verwitterte Schnitzereien zu erkennen.
    Die Wagenspuren führten zu den Klippeneingängen, und der Rauch von Lagerfeuern stieg in die Morgenluft. Tiere liefen frei umher. Aber von den Thassa sah ich keine Spur. Maelen übernahm die Führung. Sie brachte ihr Reittier zu einer Reihe von Holzpflöcken, rutschte aus dem Sattel und gab die Zügel frei. Das Kasi legte sich in den Sand und schnaubte. Ich stieg ebenfalls ab und löste den Sattel.
    »Komm!« Zum erstenmal seit Stunden sprach sie mit mir.
    Wir gingen durch das Tal auf eine Felsenöffnung zu, die um ein gutes Stück höher als die anderen Eingänge aufragte. Die Verzierungen waren so abgebröckelt, daß ich keinen Sinn in den Zeichen erkennen konnte.
    Wo waren die Thassa? Bisher hatte ich nur Tiere und Wagen gesehen. Aber als wir durch das Tor in der Klippe kamen, erhielt ich die Antwort. Ein Gesang war in der Luft. Es gibt keine Worte, um seine Macht zu beschreiben. Ich summte unwillkürlich mit und merkte, daß Maelen neben mir laut sang.
    Wir kamen in einen großen Saal. Mondlaternen hingen von der Decke und tauchten alles in ein kühles, silbernes Licht. Und die Thassa waren in Scharen versammelt. Vor uns war ein schmaler Gang zum Zentrum des Saales frei, und Maelen steuerte darauf zu. Ich folgte ihr. Der Gesang dröhnte in unseren Ohren und im Rhythmus unseres Blutes.
    Und so kamen wir zum Mittelpunkt des Saales. Eine ovale Plattform befand sich ein paar Stufen über dem Boden. Und auf ihr standen vier Thassa, zwei Frauen und zwei Männer. Sie wirkten kraftvoll und lebenssprühend, und doch umgab sie eine Aura von Alter und Weisheit. Jeder von ihnen trug einen Stab, neben dem Maelen winzige silberne Rute verschwindend klein wirkte. Und das Licht, das von diesen Stäben ausging, schien heller als die Mondlaternen.
    Maelen blieb am unteren Ende der Stufen stehen. Und als ich zögernd neben sie trat, sah ich, daß ihr Gesicht verschlossen und leer war. Aber immer noch sang sie.
    Alle standen da und sangen, bis es so schien, als stünden wir nicht mehr auf festem Felsboden, sondern schwankten in einem Meer von Gesang hin und her.
    Wie lange standen wir so da? Bis heute weiß ich es nicht, und ich habe auch nur eine schwache Ahnung, was eigentlich vorging. Ich glaube, daß sie durch ihren gemeinsamen Willen gewisse Kräfte aufbauten, die sie für ihre Zwecke brauchten.
    Der Gesang verebbte mit einer Reihe von tiefen, schluchzenden Tönen. Jetzt lag in ihm eine schwere Sorgenlast, als seien alle Kümmernisse eines uralten Volkes durch die Jahrhunderte erhalten geblieben.
    Dieser Gesang der Thassa war nicht für fremde Ohren bestimmt. Ich trug zwar Maquads Körper und reagierte in mancher Hinsicht wie Maquad, aber ich war kein Thassa, und ich preßte nun die Hände gegen die Ohren, weil ich den Gesang nicht mehr hören konnte. Tränen liefen mir über die Wangen, und ich schluchzte haltlos, obwohl die Thassa um mich äußerlich nichts von dem unerträglichen Leid verrieten, das sie teilten.
    Einer der vier auf der Plattform bewegte sich, und sein Stab deutete auf mich. Und dann hörte ich nichts mehr. Ich war befreit von dem Druck, bis der Gesang zu
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