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Das Geheimnis der Heiligen Stadt

Das Geheimnis der Heiligen Stadt

Titel: Das Geheimnis der Heiligen Stadt
Autoren: Simon Beaurfort
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aus. Seine Flanken hoben und senkten sich heftig, und die rosa Zunge hing ihm seitlich aus der Schnauze.
    Verglichen mit der Sonnenglut draußen, war es im Haus kühl und dunkel. Geoffrey blieb kurz stehen, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah er sich um. Das Haus glich den vielen anderen Wohnungen, die er in Jerusalem schon gesehen hatte. Selbst die ärmste Behausung in der Heiligen Stadt wirkte luxuriös gegenüber den elenden Hütten, die er vom Rittergut seines Vaters in England kannte.
    Der Fußboden hier war mit verschiedenfarbigen Steinen ausgelegt, und es gab nur wenige, aber elegante Möbel: eine niedrige Liege, einige Schemel und einen ausladenden Tisch. Ein großer Wasserkrug stand in der Nähe der Tür, und auf einem Wandbrett türmte sich Küchengeschirr aus Zinn und Keramik. Alles war tadellos sauber. Doch hier gab es keinen toten Ritter.
    Geoffrey drehte sich mit erhobenen Augenbrauen zu Melisende Mikelos um.
    Â»Oben«, flüsterte sie.
    Geoffrey wandte sich der Treppe zu. Er hielt noch Melisendes Arm umklammert und schob sie vor sich her. Sie warf ihm einen gequälten Blick zu und stieg dann hinauf.
    Das Haus war einfach gebaut: bloß ein Zimmer unten und ein Schlafzimmer oben. Der obere Raum hatte Bogenfenster, die mit gemustertem Baumwollstoff verhängt waren, was die sengende Sonne aussperrte, aber einen kühlenden Luftzug bewirkte. Der Holzboden war hell und die Möblierung sparsam: ein Bett, in leuchtenden Farben bezogen, und einige Regale, auf denen verschiedene Kleidungsstücke ordentlich aufgestapelt waren. Wie der andere Raum war auch dieser äußerst sauber – von einer Ausnahme abgesehen …
    Der tote Ritter lag auf dem Bauch, und das Rückenteil seines schmutzig grauen Hemdes war rot von geronnenem Blut, das um ihn herum auf dem Holzboden eine dunkle Lache gebildet hatte. Melisende atmete heftig ein und drehte sich weg. Sie fing leise an zu schluchzen. Geoffrey betrachtete die Leiche und erkannte bestürzt die hellen Haare und fein geschnittenen Gesichtszüge von John von Sourdeval.
    Geoffrey spürte einen schmerzhaften Knoten im Magen und stand wie erstarrt. Dann ging der schreckliche Augenblick vorüber. Geoffrey rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn und blickte beiseite. John, ein stiller, nachdenklicher Normanne, war ein guter Freund gewesen. Geoffrey hatte oft seine Gesellschaft gesucht, wenn die anderen Ritter zu ungesittet und ausschweifend wurden.
    Â»Wie ist er hierher gekommen?«, fragte Geoffrey und atmete tief durch. Er hoffte, dass Melisende Mikelos zu sehr in ihrem eigenen Schrecken gefangen war, um den seinen zu bemerken. Er trat ans Fenster, um nachzusehen, ob man von außen hinaufklettern konnte. Das war nicht der Fall.
    Sie wandte ihm weiterhin den Rücken zu und zuckte die Achseln. »Was weiß ich? Ich war bei meinem Onkel, der in der Nähe der Grabeskirche wohnt. Gerade erst bin ich zurückgekehrt und wollte mich ausruhen, bis die Hitze des Tages vorbei ist. Ich trank unten ein wenig Wein, wusch meine Füße und ging dann nach oben, um mich hinzulegen. Und da fand ich ihn …« Ihre Erklärungen endeten mit einem Schluchzer.
    Â»Kanntet Ihr ihn?«
    Sie schüttelte den Kopf und drehte sich ein wenig, sodass sie Geoffrey anschauen konnte, ohne den Toten anzublicken. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen«, flüsterte sie. »Und ich weiß nicht, wie er hierher kommt. Die Tür war verschlossen, und meine Nachbarn haben niemanden hineingehen sehen.« Sie sah ihn aus weit aufgerissenen, goldbraunen Augen an. »Ihr müsst mir glauben! Aus welchem Grund sollte ich einen Ritter in meinem Schlafzimmer haben?«
    Geoffrey fiel da ein Grund ein, aber er schwieg. Er betrachtete sie aufmerksam. Sie war jünger, als er zuerst geglaubt hatte, und ihre schwarze Kleidung legte nahe, dass sie verwitwet war. Geoffrey vermutete, dass ihr Mann im Juli des vorigen Jahres umgekommen war, als die Kreuzfahrer Jerusalem eroberten – bei dem Gemetzel, wo so viele getötet wurden, Christen ebenso wie Ungläubige.
    Mit einem Nicken wies Geoffrey einen seiner Männer an, darauf zu achten, dass Melisende nicht fortrannte. Dann beugte er sich hinab und untersuchte Johns Leiche. Der junge Ritter war zweifellos tot, und die Leichenstarre sowie das getrocknete Blut um die Wunde legten nahe, dass er es schon seit einigen Stunden war. Geoffrey schnitt
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