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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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ebenso perfekt gepflegt –, die Dämmerung zusehends hereinbrach, und Forscher und Führerin Freundschaft geschlossen hatten.
    Als ich zurückging, befürchtete ich, Mr. M. fände vielleicht, daß ich zu lange geblieben sei, doch als ich hinaus in den Garten kam, der nun im Mondlicht weit eher romantisch denn sinister wirkte, sah ich, daß die beiden M.s auf- und abwandelten wie zwei alte Freunde, die sich nach langer Trennung eben wiedergefunden hatten. Sie gingen tatsächlich Arm in Arm, eine Freiheit, die Mr. M. sich gegenüber mir niemals erlaubt hat.
    Binnen einer Woche hatten wir uns häuslich niedergelassen. Seltsamerweise – Mr. M. sagt, es sei nichts Ungewöhnliches bei Männern dieses Schlages, weil allein der Gedanke daran ihnen die Nähe des Todes stärker ins Bewußtsein rücke – hatte Sankey seit Collegezeiten kein Testament mehr gemacht. Damals, als er im Begriff war zu einer Reise nach Anatolien aufzubrechen, hatte sein Anwalt ihm geraten, für alle Fälle, um Schwierigkeiten zu vermeiden, ein kurzes Testament niederzulegen. Also hatte er einen Zettel bekritzelt und es vom Schuhputzer des Hotels und vom Empfangschef bezeugen lassen. Doch es war vollauf gültig, und der Anwalt hatte sich mit Mr. Milium in Verbindung gesetzt, um zu bestätigen, daß es vorliege, und ihn zu fragen, was er zu unternehmen gedenke, denn laut diesem Testament, dessen Vollstrecker der Anwalt war, war er als Alleinerbe eingesetzt.
    So fügte es sich denn, daß Mr. Milium uns mitteilen konnte, wir könnten einziehen, sobald wir wollten, und ich muß sagen, ich empfand Mr. Milium durchaus als Gewinn.
    Drei sind einer zuviel, heißt es. Doch trifft das nicht zu, wenn zwei, die zusammen leben, so grundverschieden sind wie Mr. M. und ich – der Wissenschaftler und der Künstler. Ich habe Mr. Milium immer den Bindestrich genannt, weil seine Talente, die vor allem diejenigen des Sammlers und Antiquars waren, so schön die beiden Extreme miteinander verknüpften, für die Mr. M. und ich standen. Bald bemerkte ich auch, daß er einen Spitznamen oder Titel für Mr. M. hatte. Er nannte ihn Mr. P. O. Als er sich angewöhnt hatte, das mit einiger Regelmäßigkeit zu tun, nahm ich ihn eines Tages, als Mr. M. nicht in der Nähe war, beiseite und fragte ihn, was das zu bedeuten habe – denn ich wollte nicht dafür ausgelacht werden, daß ich eine offene Anspielung oder etwas Naheliegendes nicht verstand.
    »Bei den üblichen Abkürzungen mittels Großbuchstaben«, fügte ich noch hinzu, »ein Brauch, der mir mißfällt, der jedoch ganz nach dem Geschmack unserer alles aufs Buchstabieren reduzierenden heutigen Bürokraten zu sein scheint, steht P. O. soviel ich weiß, für post Office, das Postwesen. Doch scheint mir das eine ausgesprochen unpassende Charakterisierung Mr. M.s zu sein. Denn das Postamt verteilt die Briefe und andere Informationen, die ihm zugehen. Ich könnte mir keinen schlechteren Empfänger für Informationen, die man verteilt wissen will, vorstellen als Mr. Mycrofts Verstand. Gewiß, sein Ohr vernimmt die meisten Dinge, doch sein Mund verrät uns weniger als selbst Elwin, der klassische Geizhals des achten Jahrhunderts.«
    Ich fand, das war keine schlechte Eröffnung und machte deutlich genug, daß ich kein Dummkopf war, nur weil ich nicht wußte, was die Abkürzung bedeutete.
    »Ja«, stimmte Mr. Milium mir höflich zu, »da bin ich ganz Ihrer Meinung, daß kein Vergleich für unseren ehrenwerten Freund unpassender sein könnte als derjenige mit dem post office. Und unter allen Ministersesseln wäre derjenige des Postministers wohl der letzte, den er wählen würde – obwohl ich sicher bin, daß wir, wenn er es täte, eine bessere Post hätten, denn ein vielseitigerer und kompetenterer Geist ist mir niemals begegnet.«
    »Gewiß, gewiß«, unterbrach ich, »ich wäre der letzte, der seine Qualitäten leugnen wollte, und selbst der Mangel an Verständnis, den er bisweilen zeigt, ließe mich niemals die Schärfe seiner Einsichten zu anderen Zeiten geringschätzen. Doch wenn nicht post office, was bedeutet P. O. dann? Darum ging es mir.«
    Diesmal zögerte Mr. Milium ein wenig länger, doch da er begriff, daß ich mich nicht abschütteln ließ, fuhr er fort: »Ich muß sagen, für mich ist es gut, daß Mr. Mycroft nicht der Mann ist, etwas zu verteilen, wie Sie es so trefflich formuliert haben. Sie werden verstehen, daß ich, dessen Leben in seinen und Ihren Händen liegt, es begrüße, daß er keinerlei Interesse hat,
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