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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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Theorie, daß es sich um die Blattfeder eines alten Rollstuhls handelt, beigepflichtet. Niemand hätte einen anderen Schluß gezogen – solange nicht die Summe der anderen Indizien ihre tatsächliche Herkunft verriet.«
    Mr. M. schwieg, und es folgte die längste Pause, die wir bisher hatten erdulden müssen. Die Schatten im Garten wurden allmählich länger. Es wurde kalt, und ich spürte, wie eine ganze Gänseschar die Haut meines Rückens hinunterlief.
    Nach einer Weile wandte Mr. M. sich an mich: »Noch eine letzte Kleinigkeit, auf die ich hinweisen will. Nun, wo ich Ihnen den Müllofen wieder ins Gedächtnis gerufen habe, von dem Sie sich, wie ich weiß, angewidert abwandten, erinnern Sie sich da an die leeren Gold FAzAre-Zigarettenschachteln, die rund um den Schacht des Ofens lagen?«
    »Das« – endlich sprach Milium wieder – »das war der letzte goldene Nagel zu meinem Sarg!«
    »Nein«, entgegnete Mr. M. »nein, Ihren Sarg würde ich es nicht nennen. Sagen wir: Ihr Gehäuse. Das brach Ihre Schale auf, aus der Sie sich nun befreien müssen – denn die Chance dazu will ich Ihnen geben. Jedenfalls können wir nun zu dem zurückkehren, was das eigentlich Interessante an den Taten der Menschen ist – nicht die Mittel, sondern die Motive – die Motive, ohne die wir oft nicht einmal den Mitteln auf die Spur kommen. Ich verstehe schon, welch unerhörte Gelegenheit – das, was wir einen merkwürdigen Zufall nennen – dies für Sie war. >0 Gelegenheit, deine Schuld ist groß!<
    Doch was ich darüberhinaus erkenne, ist, daß Sie standhielten, Sie rührten sich nicht von der Stelle, bis zu der Gelegenheit sich deren großer und geheimnisvoller Verbündeter, die Rechtfertigung gesellte. Es war die Andeutung, die Verlockung, daß er letzten Endes den Stoß nicht wirklich spüren würde, daß das Ende nicht zwangsläufig schmerzhaft sein müsse – das war es, nicht wahr, was Ihnen plötzlich den Entschluß eingab, es zu versuchen, das war der Abzug, der Sie zu Ihrer Tat katapultierte. Erinnern Sie sich, daß ich vor einer Weile sagte, wir hätten einen Punkt erreicht, der mir Anlaß zur Hoffnung gebe? Das war der Punkt, an dem ich zweierlei Grund zu entdecken glaubte (und nun bin ich mir dessen sicher), zweierlei Motiv, das sich aus der Petus-Passage ergab, die ihren ersten Zweck erfüllt hatte, als sie Sie aufstachelte und zur Tat bereit machte. Natürlich mußten Sie unbedingt Indizien, seien sie auch noch so klein, ausstreuen, um die scharfsinnige Polizei darauf zu bringen, daß tatsächlich in jenem Augenblick eine Provokation zu einem spontanen Selbstmord bestanden hatte – in dem Augenblick, in dem Sankey in Schußweite saß. Aber ich war und bin auch der Überzeugung, daß der Schütze eine Hoffnung hatte, einen Wunschtraum, nicht nur die Polizei und sich selbst, sondern auch Sankey zu überzeugen, daß der Tod durch einen Stich ins Herz ein schmerzloser Tod sei. Verschwommen, sagen Sie?
    Gewiß. Darin besteht das echte Geheimnis eines Mordes – Verschwommenheit der Motive. Da war der Wunsch, aus einer unerträglichen Situation herauszukommen, und untrennbar damit verbunden, wie unsere Motive es immer sind, wenn wir unter Druck stehen, der Wunsch zu glauben, daß in Wirklichkeit niemandem ein Leid zugefügt würde – ja, daß man dem Hindernis selbst noch einen Gefallen tut, indem man es über die Klippe stößt und aus dem Wege räumt. Verschwommen, jawohl. Natürlich war es denkbar, daß Sankey in seiner Lektüre niemals bis an jene Stelle vordringen würde – Sie wären vielleicht nicht in der Lage, ihm die Zeit dazu zu lassen, und tatsächlich waren Sie es ja auch nicht. Außerdem hatte man ihm seine einzige denkbare Waffe entwendet. Petus bekommt ja nicht nur gesagt, daß das Erstochenwerden schmerzlos ist, er soll tatsächlich erstochen werden. Um ihm weitere Mühen der Entscheidung abzunehmen, will man ihn entleiben. Genau das ist es, ganz genau! Verstehen Sie nicht, das Ganze ist ein Musterbeispiel für die Psychologie der Verwirrung, Mörder und Mordopfer in unentwirrbarer Verstrickung.«
    Wieder wandte er sich an Milium. »Sie wollten also zu dem greifen, was man in China den glücklichen Abschied< nennt. Und Sie wollten es auf eine Art tun, so einfach, so leise, daß selbst Shakespeare sich nur darüber wundern kann, daß etwas so Wertvolles, zu so viel Empfindung Begabtes wie die menschliche Seele aus ihrem Gefängnis mit etwas so Geringem befreit werden kann wie dem, was auch Sie
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