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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula
Autoren: Roderick Anscombe
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anderen, erkundigte mich nach Mietwohnungen und war erstaunt über die Preise, die die Hausbesitzer für die schäbigsten Zimmer verlangen. Noch dazu erwarten sie von dem künftigen Mieter nicht selten, daß er sich einen einzigen Diener mit einem halben Dutzend anderer Bewohner des Hauses teilt und daß er sich selbst um das Waschen seiner Bettücher kümmert. In einem Haus gar gelang es mir nicht, weiter als bis zur Concierge vorzudringen, die mir nach mißtrauischer Begutachtung und verschiedenen anmaßenden Fragen mitteilte, daß sie nicht an Ausländer vermieten!
    Ich muß sparsam sein, denn mein Bruder Georg hat mich deutlich darauf hingewiesen, daß von dem Familienkonto kein Geld für meinen Aufenthalt hier in Paris fließen wird. Tatsächlich hat er mir ganz offen gesagt, daß das Geld, das er mir für meine Studienzeit gegeben hat, eigentlich dazu vorgesehen war, das Dach des Ostflügels im Schloß zu reparieren. Und mein Bruder ließ auch keine Gelegenheit vergehen, mir lange Vorträge über seine wirtschaftliche Situation zu halten. Anscheinend wirft das Gut nicht genügend Gewinn ab, so daß nach und nach das Holz verkauft werden muß, um die laufenden Kosten zu decken, obwohl dieses Holz nach dem Erbrecht eigentlich von einem Grafen zum nächsten weitergegeben werden sollte. Kurz und gut, ich muß in Zukunft für meinen Lebensunterhalt selbst aufkommen, und ich werde mein Bestes geben, obwohl ich mich frage, ob die finanzielle Situation der Familie genauso angespannt wäre, wenn Georg nicht ständig beim Kartenspiel derart hohe Summen verlieren würde. Es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte, außer mich zu bemühen, sein Kartenspiel zu verbessern, was aber ein vergebliches Unterfangen wäre, denn Georg spielt wie ein Rittmeister, der er ja auch ist, stolz auf seine Bereitschaft, trotz schrecklicher Verluste immer weiter nach vorn zu preschen. Georg ist der ältere von uns beiden. Er ist der Graf, nicht ich.
    Roland, der von meiner heiklen Lage wußte, erzählte mir nun, daß in dem Haus im Quartier Val de Grace, in dem er selbst wohnt und das nicht weit vom Hôpital liegt, Zimmer frei geworden sind.
    »Erst vor kurzem frei geworden sind«, wiederholte er mit einem nachdenklichen Blick, der andeutete, daß ich ihn ruhig näher danach fragen sollte.
    »Wieso?« fragte ich folgsam und sah ihn boshaft lächeln.
    »Sagen wir mal so – der frühere Bewohner hat mehr als nur seine Zimmer frei gemacht.«
    »Ich verstehe«, sagte ich mehr oder weniger ehrlich.
    »Was aber bedeutet, daß Sie den Hauswirt zu einem guten Preis bewegen können.« Sicher sind die morbidesten Dinge nötig, um bei diesem Mann einen Sinn für Humor zu wecken.
    Und so sitze ich um Mitternacht in den ehemaligen Räumlichkeiten eines Selbstmörders. Die Wohnung ist wenig mehr als eine Dachstube ganz oben im Haus, aber ich habe einen schönen Blick über die Dächer, und am Abend kann ich im Norden die Lichter der Stadt sehen. Es nieselt, und der feine Regen hat von den Dachziegeln und der Erde zwischen den Pflastersteinen unten auf der Straße einen warmen feuchten Geruch hervorgezaubert. Es ist der Geruch der großen Stadt, und doch erinnert er mich an den würzigen Geruch der Nadelwälder bei uns zu Hause.

    2

    23.MAI l866

    ieses Tagebuch wird der Ort sein, an dem ich die unbekannten Tiefen D meines Charakters ausloten werde. Es wird der Spiegel sein, den ich mir vorhalte, um das zu fassen zu bekommen, was ich nicht sehen kann.
    Ich blicke jetzt in den Spiegel, den ich auf dem Tisch vor mir aufgestellt habe.
    Ich sehe einen Mann, der etwas älter aussieht als dreiundzwanzig Jahre, aber vielleicht entspricht dieser Eindruck auch nur meinem Wunsch, erfahrener zu wirken, als ich in Wirklichkeit bin. Man sagt mir, ich sähe gut aus, obwohl ich mir hier in Paris immer etwas fremdländisch, fast exotisch, vorkomme. Ich trage mein schwarzes Haar lang, so daß ich wie ein Bohemien aussehe, und mein Schnurrbart ist ordentlich getrimmt, obwohl ich mir einen gewissen gefälligen Schwung erlaube, ein leises Wippen, das mir, wie ich gern glauben möchte, einen Anstrich von Verwegenheit verleiht.
    Das auffälligste Merkmal in dem Gesicht, das mich anstarrt, sind die Augen.
    Diese Augen bergen einen unmißverständlichen Hinweis auf meine Vorfahren, Reiter der weiten Steppen. Ich erkenne einen kleinen Rest jener dunkelhäutigen Barbaren in meinen Augenbrauen: dick und schwarz und an den äußeren Enden ein wenig nach oben gebogen, was etwas
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