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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula
Autoren: Roderick Anscombe
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Gefühl, wieder in Unbedeutung zu versinken. »Wenn der Doktor die Hand hebt, ist das Ihr Zeichen, Mademoiselle Stacia. Dann gehen Sie zum Lesepult, um meine Anweisung zu befolgen. Und Sie werden es tun, ohne zu wissen, was Sie dazu gebracht hat, es zu tun.«
    Wieder drehte er sich zu den Zuhörern um, als wollte er uns anstacheln, ihm nicht zu glauben. Dieser kleine stämmige Mann in seinem Gehrock aus schwarzem Samt hatte etwas von einem Zauberer aus dem Variete an sich.
    »Schließen Sie die Augen«, forderte er Stacia auf. »Wenn ich bis drei gezählt habe, werden Sie aufwachen. Sie werden ruhig sein, erfrischt, und Sie werden sich nicht daran erinnern, was sich gerade ereignet hat. Eins. Zwei. Und drei!«
    Er schnippte mit den Fingern, und die junge Frau schien wieder von Leben erfüllt. Sie holte tief Luft, und sie streckte und dehnte sich, als wäre sie gerade an einem Sonntagmorgen auf dem Land erwacht. Sie sah sich um, zuerst erstaunt, aber dann wurde sie beim Anblick der vielen Ärzte, die sich hier versammelt hatten, wieder scheu. Fragend drehte sie sich zu Madame Verdun um, fand aber bei ihr keine Unterstützung oder Bestätigung.
    Charcot war an seinen Platz hinter dem Lesepult zurückgekehrt und blätterte in seinen Notizen, aber aller Augen waren auf Stacia gerichtet. Ich bin mir nicht sicher, was wir von ihr erwarteten. Sie schien sich selbst nicht ganz im klaren darüber, zu welchem Zweck sie hier war, und saß mit den Händen im Schoß und sittsam gesenkten Augen da.
    Der Professor zog unsere Aufmerksamkeit wieder auf sich, indem er seinen Vortrag und die Themen noch einmal zusammenfaßte, die er vor seiner Demonstration dargelegt hatte. Ich wartete darauf, bis ich an der Reihe war, und war mir der Blicke, die die Menschen mir von Zeit zu Zeit zuwarfen, sehr wohl bewußt, aber es ist wohl unnötig zu sagen, daß ich keinen Hinweis von Charcot selbst bekam, was zu tun war. Nachdem er mich aus einer Laune heraus ausgesucht hatte, schien er sich meiner Existenz überhaupt nicht mehr bewußt zu sein. Ich hatte den Eindruck, daß er sich nicht im vollen Fluß seines Vortrags unterbrechen lassen wollte, und so wartete ich mit einiger Unruhe.
    Schließlich beendete er seine Vorlesung und verkündete, daß er jetzt Fragen entgegennehmen wolle.
    Ich war noch damit beschäftigt, die letzten Worte seiner Zusammenfassung in meinen Notizblock zu schreiben, aber in diesem Augenblick blickte ich kurz auf. Ein erwartungsvolles Raunen ging durch den Saal, doch ich tat nichts.
    Charcot sah mich noch immer nicht an. In der ersten Reihe räusperte sich Babinski, der erste Assistent des Professors.
    »Professor, würden Sie den Unterschied zwischen dem normalen Vergessen und der Unverfügbarkeit des Wissens während des schlafwandlerischen Zustands näher ausführen?«
    »Selbstverständlich«, sagte Charcot.
    Wieder schrieb ich wie wild mit, bemüht, nicht ein einziges kostbares Wort seiner Antwort auszulassen, als ich bemerkte, daß der Meister zu sprechen aufgehört hatte. Doch diesmal unterbrach ich mich nicht beim Schreiben. Ich kritzelte weiter in meinem Buch, und das leise Geräusch der Stahlspitze auf dem Papier hallte durch das Auditorium wie quietschende Schuhe in einer Kathedrale. In dieser greifbaren Stille spürte ich einhundertundein Paar Augen, die mir beharrlich auswichen, einhundertundeinen Willen, die mich drängten, meiner Aufgabe nachzukommen. Aber ich schrieb noch ein bißchen weiter und genoß die schwankende, heitere, kitzelnde Erregung in meiner Magengrube. Mit einem Schnörkel beendete ich das letzte Wort und hob, zur Erleichterung einiger Leute, die unruhig auf ihren Plätzen hin und her rückten, die Hand.
    »Sie behaupten, das Objekt wüßte nicht, daß es weiß«, begann ich. Charcot ermunterte mich mit einem Kopfnicken, mit meiner Frage fortzufahren, obwohl ihm bewußt gewesen sein muß, daß sich Stacia hinter ihm von ihrem Stuhl erhoben hatte. Sie sah sich unsicher um.
    »Das ist richtig«, sagte Charcot. Er hatte sich vom Lesepult entfernt und stand jetzt vor mir.
    Niemand hörte auf meine Frage oder auf Charcots Antwort. Stacia hatte die Wasserkaraffe auf dem Lesepult entdeckt. Sie machte zögernd einen Schritt darauf zu und sah Charcot an. Aber der war in eine höchst uncharakteristische weitschweifende Antwort auf meine Frage vertieft und schien Stacia gar nicht zu bemerken. Diese drehte sich zu Madame Verdun um, um ihre Erlaubnis einzuholen. Aber Madame Verdun war mit einem kleinen
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